american pie
: Ricky will nicht mehr

Ricky Williams ist einer der besten Footballer des Planeten. Nun hat er seine Karriere mit 27 Jahren für beendet erklärt

Mama macht sich Sorgen. „Die meisten Menschen denken“, glaubt Sandy Williams, „Ricky sei verrückt.“ Da untertreibt Mama allerdings: So ziemlich alle Einwohner der Vereinigten Staaten von Amerika halten ihren Sohn für vollkommen durchgeknallt, seit der kleine Ricky unlängst beschloss, eine längere Auszeit zu nehmen, und übers Wochenende mal eben einen Kurztrip nach Tokio unternahm.

Solche Eskapaden wären für jeden anderen 27-Jährigen mit ein paar Dollar zu viel auf dem Konto nichts Außergewöhnliches. Aber Ricky Williams ist nicht irgendwer, sondern einer der besten Football-Spieler des Planeten und sollte sich momentan eigentlich für die im Herbst beginnende Saison in Form bringen. Stattdessen erklärte der Running Back der Miami Dolphins im besten Sportleralter seinen Rücktritt und verzichtete auf Millionen Dollar. Ihr Sohn wolle fortan, so erzählt es Mutter Williams, seine Zeit mit Reisen zubringen, sich seinem Hobby Fotografie widmen oder womöglich sein abgebrochenes Studium der Psychologie wieder aufnehmen.

So kurzfristig und unverständlich die Entscheidung von Williams sein mag, so wenig überraschend ist sie auf den zweiten Blick. Williams ist nach fünf Jahren Profi-Football, in denen er ohne zusätzliche Werbeeinnahmen ungefähr 16 Millionen Dollar verdient hat, ein gemachter Mann und trotzdem noch gesund genug, seinen Wohlstand auch genießen zu können. In einigen Jahren hätte das wohl anders ausgesehen, denn Running Back ist die Position mit dem größten körperlichen Verschleiß und die Hall of Fame voller Legenden, die ihre ruhmreichen Karrieren als Krüppel beendeten. „Sie können sich nicht vorstellen“, erfuhr ein Reporter, nachdem Williams Dolphins-Trainer Dave Wannstedt telefonisch aus Hawaii seine Rücktrittsentscheidung mitgeteilt hatte, „wie befreit ich mich fühle.“

Dass nun ausgerechnet Williams es vorzog, seine Knochen aus dem aufreibenden Geschäft zu entfernen, ist keine Überraschung. Der Dreadlock-Träger machte schon immer den Eindruck, Football nicht ganz so wichtig zu nehmen wie andere Kollegen. In seinen ersten drei Jahren in der Liga, als er noch für die New Orleans Saints spielte, galt er als extrem talentiert, aber mitunter faul. Er wurde wiederholt mit Marihuana im Blut erwischt, hatte Gewichtsprobleme und soll bei einer Gelegenheit elf Donuts auf einmal gegessen haben. Vom Rest des Teams hielt er sich fern, sein streng muffelnder Spind war Legende, sein Verhalten mitunter asozial. Bei Interviews oder Pressekonferenzen behielt er schon mal seinen Helm auf und verweigerte manchmal ganz die Auskunft, nur um im nächsten Moment entspannt stundenlang mit der Journaille zu plaudern: „Mein größtes Problem bin ich selbst.“ 2001 wurde schließlich diagnostiziert, Williams leide an einer Sozialphobie, die fortan mit Antidepressiva behandelt wurde.

Er selbst wusste, wie Arbeitskollegen und Trainer ihn einschätzten: „Abgehoben, exzentrisch, sonderbar.“ Nun kommt auch noch „sprunghaft“ hinzu. Noch vor einem Monat hatte er bei einer Sitzung der zwei Dutzend wichtigsten Spieler der Dolphins eine flammende Motivationsrede gehalten, wie sehr er die kommende Saison herbeisehne, um Miami endlich wieder zurück in die Playoffs zu führen.

Schon früher war Williams berüchtigt für seine spontanen und wenig überlegten Entscheidungen. Mehr als einmal ließ er Journalisten einfach sitzen – einmal sogar auf der Couch in seinem eigenen Haus. So gibt es noch Spekulationen, ob Williams seine Entscheidung wieder rückgängig machen wird, wenn er des Herumreisens und Nichtstuns müde geworden ist. „Ich glaube nicht, dass Ricky weiß, was er jetzt wirklich tun will“, sagt Mutter Sandy, „er weiß nur, dass es nicht Football ist.“ THOMAS WINKLER