In der Arena der Eitelkeiten

Heute wollen Gerhard Schröder und Silvio Berlusconi Versöhnung feiern – mit einem gemeinsamen Besuch von Georges Bizets Oper „Carmen“

von RALPH BOLLMANN

Geht es nach Silvio Berlusconi, dann erlebt das norditalienische Verona an diesem Wochenende einen historischen Moment. Bei seinem Versöhnungstreffen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder will der Italiener, so verriet er vorab der Bild-Zeitung, obendrein den Deutschen dazu bringen, auch mit US-Präsident George W. Bush wieder gut Freund zu sein. „Selbstverständlich“ wolle er zwischen den beiden ausländischen Politikern vermitteln, so Berlusconi: „Ich neige dazu, Auseinandersetzungen abzuschwächen und zu mildern.“ Deshalb sei er in der Lage, „gespannte Situationen zu lockern“ – und zwar „vor allem bei Tisch“ und am liebsten „mit Ironie“.

Es klingt wie eine Drohung, zumal der Polit-Unternehmer im selben Interview ausführlich erläutert, was „Ironie“ für ihn im Einzelnen bedeutet. So versteht Berlusconi bis heute nicht die Erregung über seinen Vorschlag, den EU-Parlamentarier Martin Schulz mit der Fernsehrolle eines KZ-Aufsehers zu betrauen. Er habe doch nur versucht, die Attacken des Deutschen „ironisch zu überspielen“ – und damit „wirklich nur einen Witz machen“ wollen.

Die humoristischen Einlassungen des Premiers deuten darauf hin, dass auch das Veroneser Versöhnungstreffen neue Risiken für diplomatische Fehltritte bietet. Folgerichtig müht sich das Protokoll, die einschlägigen Gelegenheiten zu minimieren. So verbringen Schröder und Berlusconi den heutigen Abend ganz und gar in der antiken Arena, um der Oper „Carmen“ zu lauschen. In dem eingängigen Stück reiht sich derart lückenlos ein schmissiger Ohrwurm an den nächsten, dass der Drang zu staatsmännischer Konversation nicht aufkommen dürfte. Falls doch, wird deren Inhalt schon wegen des Lärmpegels nicht an die Öffentlichkeit dringen.

Morgen Vormittag frühstücken die beiden Selfmade-Männer dann hinter verschlossenen Türen im Gebäude der örtlichen Präfektur. Wer die italienischen Frühstücksbräuche kennt, der weiß: Allzu üppig geht es da nicht zu. Schröder ist ohnehin in Eile, er will rechtzeitig zum Bundesligaspiel Köln–Dortmund wieder in Deutschland sein – eine Ausrede, die der Milan-Eigner Berlusconi gewiss akzeptiert.

Ein Restrisiko bietet allerdings der obligatorische Fototermin. Auch solch banale Anlässe wusste Berlusconi schon für Eklats zu nutzen. So erinnern sich die Spanier noch allzu gut daran, dass Berlusconi bei einem EU-Treffen vor anderthalb Jahren hinter dem Kopf ihres Außenministers Josep Piqué die Finger spreizte – und ihn so zum gehörnten Ehemann erklärte. Auch damals erklärte der Italiener, er habe das informelle Treffen nur „auflockern“ wollen. Seither wird der Italiener beim Gruppenfoto gern in die erste Reihe geschoben, um ihn unter Kontrolle zu behalten. Sicher ist sicher.

Dabei ging die Initiative zum Veroneser Treffen gar nicht von Berlusconi aus, sondern von seinen innenpolitischen Gegnern. Es war EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, möglicher Berlusconi-Herausforderer bei der nächsten Wahl, der das angeschlagene deutsch-italienische Verhältnis im europäischen Interesse zu kitten suchte und deshalb Schröder nach Verona einlud. Und es war der örtliche Bürgermeister Paolo Zanotto, ebenfalls ein Mitte-links-Politiker, der die Einladung an Berlusconi aussprach. Erst im vergangenen Jahr hatte Zanotto, zum großen Ärger Berlusconis, die Wahl in der traditionell rechten Stadt knapp gewonnen.

Bei aller akribischen Vorarbeit haben die beiden Politiker des Mitte-links-Bündnisses „Ölbaum“ allerdings eine Kleinigkeit übersehen: Die „Carmen“-Aufführung, die Schröder und Berlusconi heute Abend besuchen, wurde von Franco Zeffirelli in Szene gesetzt. Und der 80-jährige Altmeister der italienischen Opernregie gebärdet sich seit langem als glühender Berlusconi-Anhänger. 1994 bewarb sich Zeffirelli für „Forza Italia“ vergeblich um ein Parlamentsmandat, und im vorigen Jahr verlieh ihm der dankbare Regierungschef den schönen Titel eines „kulturpolitischen Spezialberaters“.

Aber Schröder baut vor. Zeffirellis „Carmen“ habe er sich nicht bewusst ausgesucht, bekundete der Kanzler in der vorigen Woche. Er habe eben bloß am heutigen Freitag Zeit, und da werde nun mal „Carmen“ aufgeführt. Immer noch besser, so Schröder, als der „Nabucco“ von Giuseppe Verdi: „Weil bei ‚Nabucco‘ vom Chor der Gefangenen die Rede ist.“

Bis zum 31. Dezember werden 15 europäische Regierungschefs diesen Chor noch oft genug aufführen müssen. So lange bleiben sie Gefangene des EU-Ratspräsidenten Silvio Berlusconi.