Die Mission der Sojus 31

Vor fünfundzwanzig Jahren flog der erste Deutsche ins All. Sigmund Jähn, ein Bürger der DDR. Und ein Held. Im Film „Good Bye, Lenin“ macht die Figur des Alex Jähn zum Staatschef seines Wunschlandes: „Die dringendste Aufgabe der Menschheit“, so sagte Jähn, „besteht darin, für die Erde liebevoll zu sorgen und sie künftigen Generationen zu bewahren“

von KATHARINA SCHULER

Am 26. August 1978 ließ die DDR-Führung die Bombe platzen. Es war der letzte Samstagnachmittag in den großen Ferien, kurz vor fünf, als das laufende Radio- und Fernsehprogramm für eine sensationelle Nachricht unterbrochen wurde. Um 15.51 Uhr war vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur der erste Deutsche ins All gestartet: Oberstleutnant Sigmund Jähn, ein Bürger der DDR. Wie die Russen seinerzeit den Amerikanern, so war nun auch der kleine sozialistische Bruderstaat seinem westlichen Hauptkonkurrenten zuvorgekommen. Die ersten deutschen Worte aus dem Weltall, sie erklangen in vogtländischer Färbung – immerhin, so merkte Die Zeit an, „kein Sächsisch, dass es einen schüttelt“.

Auf dem Berliner Alexanderplatz hatte man Fernseher aufgebaut, über die nun die Bilder vom Start der Rakete und der Erklärung des Kosmonauten flimmerten, und auch die Bewohner des kleinen Ortes Morgenröthe-Rautenkranz, dem Heimatort von Sigmund Jähn, erfuhren nun endlich, was der tiefere Sinn des Volksfestes war, das man für sie an diesem Tage völlig außer der Reihe organisiert hatte.

Bis dahin hatte nämlich höchste Geheimhaltung gegolten. Weder der Zeitpunkt des Starts noch das geplante Programm oder die Namen der zwei deutschen Kosmonauten, die seit zwei Jahren im „Sternenstädtchen“ bei Moskau trainierten, waren der Öffentlichkeit bekannt. Der „unbedingte Geheimnisschutz“ hatte zum einen mit den militärischen Aspekten der Raumfahrt zu tun, entsprach aber zum anderen auch der sowjetischen Praxis, Misserfolge so weit wie möglich zu verschweigen. Der Start einer bemannten Raumfähre wurde erst nach der ersten Erdumrundung gemeldet, also etwa eine Stunde später.

Zwar hatten die Genossen in Berlin – das geht aus Unterlagen der Agitationsabteilung des Politbüros hervor – Moskau inständig gebeten, zumindest den Start wenige Minuten nach Vollzug melden zu dürfen. Da dieser von jeder Satellitenstation aus zu beobachten war, fürchteten sie, dass westliche Medien ihnen in letzter Minute ihren Triumph verderben und das Ereignis zuerst melden könnten. Aber Moskau blieb hart.

Sobald jedoch die erste Meldung heraus war, brach ein Medienspektakel über die DDR herein, das seinesgleichen suchte. In den Akten des Politbüros ist von „der größten Herausforderung“ die Rede, „die das Fernsehen bisher zu bewältigen hatte“. Bis zum Tag der Landung am 3. September verdrängte der Weltraumflug alle anderen Themen. Der Propagandatraum vom „Überholen, ohne einzuholen“ – für einen Moment schien er wahr geworden zu sein. „Die Erde dreht sich linksherum“, lautete der selbstbewusste Titel einer Schallplatte, die anlässlich des Weltraumflugs produziert wurde. „Es gab ja immer dieses Gefühl der technischen Unterlegenheit, das konnte mit so einem Ereignis überspielt werden“, sagt Günter Schabowski, damals Chefredakteur beim Neuen Deutschland, heute. Um den Triumph so richtig auszukosten, vergaß die DDR-Führung sogar kurzfristig ihre Abgrenzungsdoktrin. Die Wörter „deutsch“ und „Deutscher“, die normalerweise im öffentlichen Diskurs der DDR nicht vorkamen, waren plötzlich erlaubt.

Damit bloß nichts schief ging, hatten die PR-Strategen der Partei das Ereignis bis ins Kleinste vorbereitet. Bereits Wochen vor dem Start lagen „Bordreportagen“ fertig ausgearbeitet in den Schubladen der Agitationsabteilung, auch eine Pressekonferenz hatte man in petto samt ausformulierter Fragen und Antworten. In den Westmedien wurde die Diktion vom „ersten Deutschen im All“ zwar zunächst übernommen, später teilweise aber auch wieder aufgegeben. Manche sprachen jetzt nur noch davon, dass sich ein DDR-Bürger an Bord der Sojus 31 befinde. Kritik wurde an dem in der DDR betriebenen Medienrummel geübt, außerdem unterstellte man – indem man auf Versorgungsprobleme hinwies –, dass sich die DDR Weltraumprojekte eigentlich nicht leisten könne. Ausgerechnet die Tageszeitung Die Welt störte sich an der „fast militanten Deutschtümelei“, die in der DDR ausgebrochen sei. Auch konnte man es nicht lassen, am 29. August auf Seite eins zu melden, dass die Amerikaner bereits 1974 einen (West-) Deutschen mit ins All nehmen wollten. Mit besonders bösen Worten zog Chefredakteur Peter Boenisch gegen „Genossen Kolumbus aus Sachsen“ zu Felde, den er einen „Mitesser in der Russenrakete“ nannte.

Sigmund Jähn selbst hatte vom Starttag an die Rolle eines Helden und Vorbilds zu übernehmen. Er diente als lebender Beweis dafür, dass „ganz gewöhnliche Menschen“ es im Arbeiter-und-Bauern-Staat zu etwas bringen konnten. „Einer von uns“ lautete die Formel.

Tatsächlich stammt Jähn nicht nur aus einer Arbeiterfamilie, vor seiner Ausbildung zum Militärflieger hatte er eine Buchdruckerlehre gemacht. Weitere Eigenschaften, die an seinem Lebenslauf unschwer demonstriert werden konnten, waren eine ausgesprochene Leistungsbereitschaft und ein „fester Klassenstandpunkt“. Dass der 41-Jährige kurz vor seinem Flug Opa geworden war, passte dagegen nicht sehr gut in das Bild des „Himmelsstürmers“ – so ein Filmtitel –, es durfte in den Medien nicht erwähnt werden.

Dass auch Jähns persönliche Eigenschaften bei seiner Auswahl eine Rolle spielten, beweist ein Brief von Harry Ott, Mitarbeiter der Abteilung Agitation, an Erich Honecker. Darin schreibt Ott, er habe den Eindruck, „dass die sowjetischen Genossen Sigmund Jähn vom Standpunkt seines öffentlichen Auftretens für geeigneter halten“ als den anderen DDR-Kandidaten, Eberhard Köllner. Von Anfang an wurde eingeplant, dass der Kosmonaut nach seinem Flug ein Star werden sollte, auch wenn der zwar freundlich, aber zugleich auch sehr zurückhaltend wirkende Vogtländer dafür sicherlich nicht prädestiniert war.

Als Sigmund Jähn am 21. September in die DDR zurückkehrte, wurde ihm ein triumphaler Empfang bereitet. Es begann mit einer dreißig Kilometer langen Fahrt durch Berlin, bei der die Bevölkerung Spalier stand. Es folgte die Auszeichnung durch Erich Honecker mit den höchsten Orden der DDR sowie dem eigens für ihn gestifteten Titel „Fliegerkosmonaut der DDR“, dessen erster und letzter Träger er wurde, da nach ihm nie wieder ein DDR-Bürger in den Weltraum flog. Er besuchte Minister, legte Kränze nieder, pflanzte Bäume, tanzte auf dem Kosmonautenball und nahm in unzähligen Betrieben die Glückwünsche der Arbeiter entgegen. Der sechstägigen Begrüßungstour folgte eine Reise durch alle Bezirke, die er später noch zweimal wiederholte. Bis zum Ende der DDR blieb Jähn ein öffentlicher Mensch mit festem Platz auf den Ehrentribünen.

Zentrales Anliegen der Parteiführung war es, Jähn als leuchtendes Vorbild für alle Bevölkerungsgruppen darzustellen. En masse gaben die Betriebskollektive Selbstverpflichtungen für noch bessere Arbeit ab, die sich allesamt auf den „Ansporn“ durch den Kosmonauten bezogen.

Trotz der aufdringlichen Propaganda wurde Sigmund Jähn zu einer positiven Identifikationsfigur für viele DDR-Bürger.

Der Stolz auf den Kosmonauten war echt, und die Tatsache, dass das Ereignis auch in den Westmedien Beachtung fand, verstärkte ihn noch. Zu einer Fotoausstellung über den Weltraumflug im Berliner Fernsehturm kamen sechzig Prozent der Besucher einzeln, also nicht mit einer organisierten Gruppe. Normalerweise war das Verhältnis umgekehrt.

Zwar gab es, das geht aus den für die SED-Führung angefertigten Stimmungsberichten hervor, durchaus auch kritische Stimmen. „Janz Berlin jähnt“, witzelte das Volk, maß die Abstände zwischen den Propagandaplakaten in „ein Jähn“ und dichtete „Lieber Siggi, komm bald wieder, unsere Straßen liegen auch danieder.“ Doch die übertriebene Propaganda wurde nicht Jähn selbst angerechnet. „Dafür konnte der überhaupt nichts, der Arme“, sagt Gertrud Wilke, eine Lehrerin. Und auch bei Brigitte Deckert, die Mitglied der ersten Sigmund-Jähn-Brigade der DDR war, hat sich das Bild eines „sehr, sehr bescheidenen Menschen“ festgesetzt, der den ganzen Rummel um seine Person gar nicht wollte.

Obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, dass Jähn ein überzeugter Parteigänger des Regimes war – seit 1980 wurde er zudem von der Staatssicherheit als IM geführt –, hob er sich in den Augen der DDR-Bürger angenehm von der Politprominenz des Landes ab. Was er bei öffentlichen Anlässen sagte, klang – sofern man ihm Gelegenheit gab, es selbst zu formulieren – einfach und war weniger von Phrasen durchsetzt als das übliche Parteideutsch.

Es war seine Leistung, die ihn in den Augen der Bürger zum Heroen machte. Auch offiziell durfte er sich mit dem Titel „Held der DDR“ schmücken. Dass es zudem stets eine gewisse Differenz zwischen seiner Person und der Rolle gab, die er spielen sollte, sicherte ihm die Sympathien der Menschen, auch über das Ende der DDR hinaus.

KATHARINA SCHULER, geboren 1971, lebt als freie Autorin in Berlin