Schierlingstrunk verdünnt

Das Hochwasser vor einem Jahr hat Elbe und Nordsee nur gering belastet. Viele Schadstoffe blieben im Sediment und in den Überflutungsgebieten, von wo sie allmählich ins Meer gespült werden

Das Gras von den Überflutungsgebieten darf inzwischen wieder verfüttert werden Schadstoffkonzentration lag nur in einem Ausnahmefall über dem Wert vor der Wende

von GERNOT KNÖDLER

Überflutete Chemiewerke, ausgespülte Altlasten, ausgelaufene Heizöltanks – das Elbhochwasser vor einem Jahr ließ Schlimmstes für den gebeutelten Strom befürchten. Erst in jüngster Zeit waren die Umweltsünden der Vergangenheit soweit verpflastert worden, dass das Baden in seinen Fluten nicht mehr als gesundheitsgefährdend galt. Tatsächlich hat die Flut Elbe und Nordsee nicht so stark mit Schadstoffen belastet wie erwartet. Am schlimmsten traf es die überfluteten Auen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, aber selbst dort wird keine stark erhöhte Giftbelastung mehr gemessen.

„Die Elbe ist bei dem Hochwasser mit einem blauen Auge davongekommen“, bilanziert Michael Begemann von der Wassergütestelle Elbe in Hamburg. Nur ein kleiner Teil der Schadstoffe sei in der Hansestadt angelangt. Die Schadstoffkonzentrationen haben sich nach den Messungen der Wassergütestelle zum Teil zwar verdoppelt. Sie lagen jedoch nur im Fall von beta-Hexachlorcyclohexan (HCH) über den Werten der Zeit vor der Wende.

Bei Quecksilber errechnete die Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe (Arge Elbe), für die auch die Wassergütestelle arbeitet, für 2001 eine Jahresfracht von 1,2 Tonnen. 2002 waren es 1,9 Tonnen. Der Spitzenwert lag 1985 bei 28 Tonnen. Weil Quecksilber sich über die Nahrungskette anreichert, gilt Begemann zufolge erst ein Wert unter einer Tonne als harmlos. Ein anderes Beispiel bietet Arsen: 2001 wurden von dem Gift 43 Tonnen den Strom hinabgespült, 2002 rund 99 Tonnen, 1987 bei einer gleichen Wassermenge 110 Tonnen.

Als „Ausreißer“ bezeichnet Begemann dagegen HCH: 2001 schwammen 70 Kilogramm von der Chemikalie mit dem Strom, 2002 waren es 400 Kilo, 1987, vor der Wende, waren es lediglich 130 gewesen.

Begemann geht davon aus, dass tatsächlich Altlasten alter Chemie-Areale im ehemaligen Ostblock, insbesondere im Bitterfelder Chemiedreieck ausgespült wurden, von denen ein Teil auf der Strecke blieb. „Unsere Messungen deuten darauf hin, dass die Schwebstoffe auf den Überflutungsgebieten in Sachsen und Sachsen-Anhalt liegen geblieben sind und damit auch die daran haftenden Schadstoffe“, sagt Begemann. Von dort werden sie in den kommenden Jahren in kleinen Dosen stromabwärts gespült werden.

Die Messungen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in der Deutschen Bucht bestätigen die Erkenntnisse der Arge Elbe. Das Hochwasser habe nicht zu lang wirkenden nachteiligen Folgen für die Nordsee geführt. „Die befürchtete kurzfristige und extreme Verschlechterung des Zustandes der Deutschen Bucht ist im Fall der überwiegenden Zahl der Untersuchungsparameter ausgeblieben“, heißt es im Untersuchungsbericht des BSH. Auch wenn die an Schwebstoffen haftenden Gifte nach und nach ins Meer gespült werden sollten, werde sich die Situation nicht wesentlich verschlechtern.

Die ermittelten Konzentrationen ordneten sich bei den meisten Stoffen in den abnehmenden Trend der vergangenen Jahre ein. Bei anderen unterlägen sie saisonalen Schwankungen, die eine Zuordnung zum Hochwasser erschwerten. Eine Ausnahme bilde HCH, das das vom Hochwasser beeinflusste Seegebiet regelrecht markiert habe. „Mitte September war das Signal am höchsten, im November wurden bereits wieder normale Werte beobachtet“, so das BSH.

Auch das Gras der Überflutungsflächen dürfen die Landwirte inzwischen wieder verfüttern. Im Gebiet Dömitz/Boizenburg zum Beispiel hatte die Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt (Lufa) Rostock im September 2002 so große Dioxin-, Arsen- und Schwermetall-Mengen im Boden und den Pflanzen gefunden, dass diese nicht verfüttert werden durften. Bei einer Untersuchung im Mai stellten die Laboranten keine erhöhten Giftkonzentrationen in den Pflanzen mehr fest. Welche Schäden die Gifte im Boden langfristig verursachen werden, ist noch nicht umfassend erforscht.