berliner szenen Sieg Heil und Prösterchen

Nix für ungut

In der Hermannstraße steht ein Mann mit Bierdose. Er schwitzt und trinkt, sein Gesicht ist unnatürlich gerötet. Der Sommer war lang, und auch jetzt noch brennt ihm die Sonne auf den Kopf und macht ihm Kopfschmerzen. Immer schneller trinkt der Mann, sucht sich Linderung zu verschaffen, indem er immer mehr des immer wärmer werdenen Biers in sich hineinschüttet. „Ich muss noch schneller trinken“, denkt sich der Mann, „dann habe ich es bald geschafft!“ Sicher hat er das – fragt sich nur, was? Noch ein Bier, noch mehr Kopfweh, ein Teufelskreis – der arme Mann!

An der Bushaltestelle steht eine schwarze Familie – Vater, Mutter, Kind, schwer bepackt mit Plastiktüten. Als unser Mann die Leute erblickt, durchzuckt ihn ein Geistesblitz. Er wankt auf sie zu und hebt, ironisch zuprostend, die Dose: „Und?“, fragt er vorwurfsvoll, „seid ihr jetzt zufrieden? Jetzt geht’s euch gut, hä? Jetzt fühlt ihr euch bestimmt wohl, wa?“ Der Vater sagt etwas zur Mutter, beide lachen, das Kind glotzt nur. Das ist der Beweis: Genau die sind für seine Lage verantwortlich – irgendjemand muss ja schließlich seine unegalen Griffel mit im Spiel haben! Er will auch gar nicht stänkern – er wollte nur mal wissen, wer am Wetter schuld ist. Das ist sein gutes Recht – ist doch normal, dass man das wissen will!

„Prösterchen, Sieg Heil, denn nix für ungut“, schwappen Dose und Gesinnung über – dann zieht er sich zurück. Man muss ihn verstehen – es ist nun mal hart hier für ihn mit dem brühwarmen Bier in der Hitze. Der Mann hofft, dass die Sonne bald untergeht, sonst müssen sie ihn nachher wieder ins Urban bringen. In den Schatten geht er jedenfalls nicht – das machen doch nur Schwule! Ein Glück, dass er nicht schwul ist: Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt. ULI HANNEMANN