nachruf
: Otto Schwanz

Einer von uns

Wenn in Berlin Männer aus dem Milieu sterben, wird es peinlich. Jüngstes Beispiel heißt Otto Schwanz, schillernde Figur der Bordellszene und in dieser Woche im Alter von 63 Jahren vom Bauchspeicheldrüsenkrebs hinweggerafft. Eine natürliche Entsorgung kriegt er nicht. Kaum tot, wird der Zuhälter, Schläger, Dokumentenfälscher, Knacki und Bestecher zum Mythos – als handle es sich um Robin Hood. Die B.Z. widmet der „Rotlicht-Legende“ gleich eine Serie mit Auszügen aus seinen Erinnerungen. Was heißt: Wir sind mit Otto Schwanz wieder einmal angekommen im spezifischen Westberliner Sumpf aus geföhnter Nackenlocke, Pilotenbrille, einer Rolex, so groß, dass jeder Türknauf abriss, Schnäuzer, auffälliger Krawatte und Slippers – was im muffigen Berlin der 70er- und 80er-Jahre zur Grundausstattung gehörte, um ins politische und gesellschaftliche Establishment aufzusteigen.

Kurz gesagt, Otto Schwanz war ein durchschnittlicher Ganove und Verbrecher. Jeder, der einigermaßen normal tickte, konnte das riechen. Herkunft: Reeperbahn. Ausbildung: Leibwächter. Lehrjahre bei Nuttenking Hans Helmcke, der 1973 erwürgt wurde. Danach Gründung der Schwanz-Ich-AG als Zuhälter mit anschließendem Großaufstieg zum Westberliner Bordellbesitzer mit Etablissements wie „Der blaue Engel“, „Fasanenhof“ oder „Mireille“.

„In der Branche, in der ich mich herumtrieb, galt ein Puff schon als halbwegs Solides“, bekannte Schwanz einmal großspurig. In Westberlin gereichte das zur Nobilitierung. Schwanz hofierten Fußballstars, Politiker und Schauspieler, im „Engel“ sah man Prominenz. 50 Girls sollen in den Séparées mit Polizeibeamten verschwunden sein. Das politische Milieu zwischen Eberhard Diepgen (CDU), Exfinanzsenator Klaus Riebschläger (SPD) und FDP-Senator Horst Vetter war ebenfalls von Schwanz animiert.

1986 machte Schwanz sein so genanntes Meisterstück: Den Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes (CDU) schmierte er mit 50.000 Mark für eine Immobilie am Kurfürstendamm. Zwar gingen Antes und Schwanz selbst für ein paar Jahre in den Bau, zwei Senatoren nahmen ihren Hut. In der Folge tat sich der berühmte „Berliner Sumpf“ wieder bis ins politische Oberhaus auf. Man war ja darin geübt und Spitze – siehe Garski-Affäre (1978). Das Schwanz-Syndrom, nämlich von zwielichtigen Gestalten für Baugenehmigungen, Pachtverträge oder Freistellungen von Bauauflagen Geld zu kassieren, gehörte an der Spree zum Tagesgeschäft. Korruption und die Beziehungen ins Milieu hinein galten nicht mal als Kavaliersdelikt, sondern als solide. Zahlen: Diepgen hatte 75.000 Mark für die Partei erhalten. Riebschläger (SPD) verwendete 10.000 Mark als „persönliche Wahlkampfspende“. Vetter bekam auch 10.000 Mark, die er der Parteikasse zuführte. Antes kassierte insgesamt 300.000 Mark.

Otto Schwanz kam wieder raus – und wieder rein wegen Fälschung von BVG-Tickets. In Wirklichkeit war Schwanz ein kleiner schmieriger Ganove, mehr nicht, den die Stadt hinter der Mauer und ihr politisches Soziobiotop groß gemacht haben. ROLA