Herr Küntzel sucht den Superstar

Ein Künstler fahndet nach weiteren Schlafplätzen der Stare und plant ein Klangarchiv. Denn die Vögel imitieren Stadtgeräusche, etwa Handyklingeln

Können Stare ein Event sein? Ist ihr zwitscherndes Gekeife gar Musik? Das sind so Fragen. Der Berliner Klangkünstler Tilman Küntzel würde sie sofort bejahen. Die Starenversammlung ist ein Event. Warum also künstlich neue schaffen, wenn die Stadtnatur sie ohnehin bereithält?

Zurzeit geht Küntzel fast jeden Abend auf die Brücke hinter dem Berliner Dom. Er ist nicht nur vom Einflug der Stare und ihrem Konzert fasziniert, sondern auch davon, dass immer mehr Leute kommen, um dieses Schauspiel zu genießen. Der Künstler will darum jetzt ein größeres öffentliches Interesse dafür schaffen, will, dass noch mehr Berliner diesen Platz besuchen, als gingen sie auf ein Konzert. Denn, ja, natürlich ist der abendliche Spottgesang der Stare ein konzertantes Großereignis, eine kakofonische Sinfonie, findet er.

Im Rahmen eines Klangkunst-Stipendiums erarbeitet er deshalb ein Projekt, an dessen Ende eine Internetseite stehen soll, auf der Besucher neue Versammlungsorte melden oder finden können. Außerdem will er im Internet ein Klangarchiv anlegen, aus dem man sich nicht nur Aufnahmen von Starenorchestern herunterladen kann, sondern auch von originellen Solisten. Stare sind wahre Meister der Imitation. Auch in dieser Eigenschaft stoßen sie auf Küntzels Interesse. Und er ist nicht der erste Künstler, dem es so ergeht. Mozart hatte sogar einen eigenen Star – der ihm sehr hilfreich war. Als das Genie über dem 3. Satz seines G-Dur-Klavierkonzertes brütete, zwitscherte der Star plötzlich das Thema nach und modulierte es. Mozart hat die Variation übernommen.

Doch Stare können mehr als Mozartmelodien und Vogelstimmen imitieren. Mühelos bauen sie den Hühnerhof, das Froschkonzert und andere Geräusche in ihr Gezwitscher ein. Bis zu 20 Prozent artfremde Gesangselemente können Stare in ihre Repertoires einflechten, hat der Verhaltensforscher Georg M. Klump von der Uni Oldenburg herausgefunden. Der Clou: Stadtstare imitieren sogar Zivilisationsklänge. Handyklingeln, Pfiffe von Hundebesitzern, Bremsenquietschen oder das Scharren einer Schaufel auf Beton haben Ornithologen bereits dokumentiert. Tilman Küntzel will noch mehr finden, will Richtmikrofone und Minikameras an den Schlafplätzen montieren, auf dass man sehen und hören kann, wie sich das wilde Leben die Stadt zurückerobert. Wenn das kein Event ist.

JAN ROSENKRANZ

Mehr dazu demnächst im Internet unter www.singuhr.de/stare