Klongklong-klick-klongklong

Aufstand der Anständigen: Die Lage in Berliner Grünanlagen ist sehr ernst

Ein Berliner Park ohne Trommeln – gibt es so etwas überhaupt?

„Anstand und Benehmen“ soll im Saarland demnächst ein Schulfach werden. Schüler würden demnächst „gutes Benehmen lernen“, verlautbarte das Bildungsministerium in dieser Woche in Saarbrücken. „Anstand, gegenseitige Rücksichtnahme und die Achtung des Anderen“ seien „wichtig für das Zusammenleben“, so Bildungsminister Jürgen Schreier.

Der entschiedene Schritt des Ministers legt nahe, dass das Saarland von besonders vielen Rabauken bevölkert ist. Vielleicht aber hat sich nur dorthin verbreitet, was in Berlin gang und gäbe ist, und vielleicht war Jürgen Schreier in diesem Sommer in einem Park. In Berliner Parks jedenfalls gelten Anstand, gegenseitige Rücksichtnahme und die Achtung des Anderen nur stark eingeschränkt: In Berliner Parks wird getrommelt.

Man trifft sich in Grüppchen, bisweilen aber auch in Schulklassenstärke. 40 Mann – Frauen sind seltener – kommen da leicht zusammen, bewaffnet mit Bongos, Kongas und was sonst noch zur Geräuschproduktion geeignet ist. Die Gruppe lässt sich auf einer Wiese nieder und bearbeitet ihre Instrumente. Sie tut das erwartungsgemäß nicht rhythmisch, aber das macht die Sache auch nicht schlimmer. Die Gruppe ist so oder so laut.

In der Nähe einer Berliner Trommelgruppe lässt sich kein Buch lesen oder auf einer Decke knutschen oder ein Fisch grillen. Dumpfen Schlägen ausgesetzt, verlieren Parkbesucher den Appetit auf Fisch. Dass ein Spannungsbogen, ob nun im Roman oder auf einer Decke, zwangsläufig zusammenbrechen muss, dürfte auch nicht verwundern. Viele Parkbesucher haben sich deshalb aus manchen Grünanlagen der Hauptstadt zurückgezogen. Die „Hasenheide“, ein recht großes Areal im Bezirk Neukölln, gehört inzwischen allein einer Trommelgruppe. Wer sich sonst noch in diesem Park aufhält, spielt zu sehr später Stunde Nachtgolf, führt einen tollwütigen Hund aus oder verkauft Drogen. Städtische Naturfreunde lassen sich woanders nieder.

Umso größer war mein Entsetzen, als ich kürzlich bei einem Picknick oben auf dem Kreuzberg Trommelschläge aus dem Park unterhalb unseres Hochsitzes vernahm. Meine Mitpicknickerinnen hörten sie auch. Wir tauschten verzweifelte Blicke.

Eben noch war alles in bester Ordnung gewesen. Wir hatten leckere orientalische Pasten ausgepackt, Brot geschnitten, Wein entkorkt. Die Stufen des Kreuzbergmonuments, aufgeladen vom Sommertag, spendeten angenehme Wärme und schützen uns vor Blasenerkältungen. Die untergehende Sonne spendete verschönerndes Licht, die weiteren Anwesenden öffneten ihre Bierdosen genauso leise wie ihre Bücher. Bis zum ersten Bongo-Klong hatten wir alle den perfekten Sommerabend erlebt.

Wie zu befürchten gewesen war, blieb es nicht bei einem kurzen Klong. Von unserem Standort, dem Kreuzberggipfel, konnten wir die Klongerzeuger ins Visier nehmen: eine Gruppe von etwa zehn jungen Männern, drei davon mit leider transportablen Trommeln ausgerüstet. Sie begannen zu – zu spielen. „Klong-klick-klick“ machte der eine, „Klongklong-klick-klongklong“ der andere, der Dritte schaltete sich mit gewagten „Klickklickklickklongklickklicks“ zu.

Als gelassener, erfahrener Bergbewohner weiß man, dass es die Launen der Natur zu ignorieren gilt. Wir gaben uns entsprechend alle Mühe. Allerdings beeinflusste mindestens „Klong-klick-klick“ unsere Konversation. Wie soll man auch über eine große neue Verliebtheit berichten, wenn – „Klong-klick-klick“ – alles aus dem Takt gerät? Vor allem, wenn urplötzlich auch noch eine Blockflöte eingreift, ein Instrument, das „in allen anderen EU-Ländern längst verboten wurde“ (Bernd Möhlmann?).

Wir buhten laustark nach der ersten Nummer der Jam-Session, selbstverständlich ohne Folgen, vertreiben lassen wollten wir uns aber auch nicht. Sie würden müde werden, versicherten wir uns immer wieder gegenseitig, die kifften bestimmt gewaltig, denn kein Mensch kann Blockflöte und Bongos ohne Drogenzufuhr ertragen, vielleicht würde die Gruppe auch schon bald Heißhunger verspüren und sich zur Würstchenbude verziehen. Vielleicht, das diskutierten wir inzwischen mit den Nachbarn, würden aber auch gezielte Würfe mit Olivenkernen … – nein! Immerhin aber legte die Trommelgruppe Pausen ein, die wir damit verbrachten, über Ausweichmöglichkeiten nachzudenken.

Dann war auf einmal Ruhe, himmlische Ruhe. Offenbar litten die Trommler unter einer musikalischen Blockade. Inzwischen war es nahezu dunkel, so dass wir den Zusammenbruch nicht wirklich beobachten konnten, aber wahrscheinlich schüttelten die Künstler gerade die Köpfe und gestanden einander ein, dass ihnen just nicht einmal das Kusshändchen einer Muse zuflog. Wir entspannten uns und dankten uns gegenseitig für unsere Toleranz und unser Durchhaltevermögen. Die Klongklicker blieben weiter still, wie wir hören konnten. Nur schemenhaft nahmen wir wahr, dass ein Nachzügler eintraf, der uns zunächst nicht weiter beunruhigte. Bis er zu spielen begann: Dudelsack!

Es gibt einen Zeitpunkt, an dem Toleranz innerhalb von Sekunden in blanken Hass umschlägt. Das ist der Moment, an dem jemand ungefragt Dudelsack in einem öffentlichen Park mit erholungsbedürftigen Menschen spielt, die bereits Bongos und eine Blockflöte ertrugen.

Während wir unseren Auf- und Abbruch organisierten, traf die Polizei ein. „Um Himmels willen, kommen Sie schnell – hier wird Dudelsack gespielt!“, muss sie jemand benachrichtigt haben. Welches Polizeirevier würde nicht johlen, wenn ein solcher Hilferuf einginge? Die zuständige Wache aber muss den Ernst der Lage erkannt haben – und unerfindlicherweise ein Gefühl für Anstand, gegenseitige Rücksichtnahme und die Achtung des Anderen besitzen.

CAROLA RÖNNEBURG