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Scampi mit Salzkartoffeln

Istrien gehört zwar offiziell zu Kroatien, doch mischen sich italienische, slawische und österreichische Traditionen auf faszinierende Art, was sich nicht nur in der Küche bemerkbar macht. Das Amphitheater von Pula, der ältesten Stadt der Ostadria, zählte zu den größten der römischen Welt

„Die Ortsschilder sind zweisprachig, Gottesdienste gibt’s auf Italienisch“

von SABINE HERRE

Die Flut wird erst am späten Vormittag einsetzen. Jetzt, so früh am Morgen, kann man über die flachen Steine von der Bucht weit hinaus ins Meer laufen. Im glasklaren Wasser, das nach dem Frühjahrssturm noch um ein paar Grad kälter geworden ist, sind die Goldbrassen deutlich zu erkennen. Zwei kroatische Jungs fangen sie mit einer Schnur, an deren Ende sie einfach ein Stück Weißbrot gebunden haben. Nur bei den Krebsen haben sie kein Glück. Bei Annäherung von Gefahr buddeln die sich im Sand ein oder verschwinden blitzschnell in einer Felsenritze.

Doch Gefahr droht den Krebsen nur selten. Die Saison ist kurz in Istrien, nur im Juli und August ist hier wirklich etwas los. Im Mai aber oder im September sind die paar deutschen oder österreichischen Urlauber in den felsigen Buchten der kroatischen Adriahalbinsel unter sich. Und all die Tretbootvermieter und Spanferkelbudenbesitzer, ja selbst die Pizzabäcker und Eisverkäufer, sie führen ein beneidenswert geruhsames Leben.

Das ändert sich nur am Wochenende. Über gleich zwei Grenzen, die italienisch-slowenische und die slowenisch-kroatische, fallen die Bewohner des Friaul in Istrien ein. Besetzen mit ihren Autos die schattigsten Plätze unter Pinien und Kiefern, okkupieren mit Liegestühlen, Campingtischen und Kühltaschen die besten Strandplätze. Machen die adriatische Halbinsel ganz selbst verständlich zu einem Teil Italiens.

Was nicht allzu schwer ist. Denn tatsächlich fühlt man sich in Istrien, das jahrhundertelang von Rom und Venedig beherrscht wurde, immer ein bisschen wie in Italien. Das Amphitheater von Pula, der ältesten Stadt der Ostadria, zählte zu den größten der römischen Welt. In den Gassen der Hafenstadt Porec mit ihren mächtigen Bürgerpalais herrscht eine Atmosphäre wie in der Toskana. In den schroffen Bergen des Küstenhinterlandes mit seinen Weinbergen und verlassenen Bauernhöfern ist es fast wie im Piemont. Auf Toren und Türmen prangt der Markuslöwe, das stolze Wahrzeichen Venedigs. Für Dante soll die „Schauer erregende“ Schlucht von Pazin das „Inferno“ schlechthin gewesen sein. Und in Rieka, das italienisch „Fiume“ heißt, erklärte sich der faschistische Schriftsteller Gabriele d’Annunzio im Dezember 1919 zum Comandate seiner „Dichter-Republik“.

Italienisch ist in Istrien natürlich auch das Essen. Die selbst gemachten Fusili-Pasta mit Hasenragout, der kalt geräucherte luftgetrocknete Schinken, der wilde Spargel mit Trüffeln. Doch erst die Brassen und Seezungen, die Sardinen und Sardellen, die zu 99 Prozent vor Ort gefangen werden, frisch und preiswert sind, machen die istrische Küche zu einer wahrhaft mediterranen. An die österreichische Kochtradition – immerhin gehörte Kroatien mehrere Jahrhunderte lang zum Habsburgerreich – erinnern dagegen nur noch Palatschinken und die allgegenwärtigen Wiener Schnitzel.

Wie in Italien fühlt man sich in Istrien aber auch, weil überall Italienisch gesprochen wird. Und das, obwohl viele Angehörige der italienischen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Istrien endgültig zu Jugoslawien kam, aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Doch die Zurückgebliebenen haben sich gut organisiert und vor allem nach dem Ende des Kroatienkrieges erfolgreich für ihre Minderheitenrechte gestritten. Es gibt einen italienischen Verlag und eine italienische Zeitung. Die Ortsschilder sind zweisprachig, Schulunterricht und Gottesdienste werden auf Italienisch abgehalten, und natürlich sprechen auch viele Kroaten Italienisch. Schließlich fährt man zum Shopping noch immer in das nahe gelegene Nachbarland.

Und doch ist Istrien viel mehr als nur ein im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangener Teil Italiens, wie etwa viele Neofaschisten rund um die erste Regierung Berlusconi zu Beginn der 90er meinten. Und prompt die Rückerstattung der Halbinsel forderten. Istrien, das ist Europa en miniature. Keine Epoche und kaum ein Volk, das hier nicht seine Spuren hinterlassen hätte. Byzantiner und Griechen machten sich Istrien ebenso untertan wie die Habsburger und Napoleon. Genueser und Venezianer, aber auch die Uskoken und die Ciribiri kamen und gingen. Wer versuchen will, in all das Völkerallerlei etwas Ordnung zu bringen, findet eine Regel, die mehr als 2.000 Jahre gilt: In Istrien traf die Mittelmeerkultur auf die Kultur Mitteleuropas. Auf der Halbinsel mischten sich Romanisches und Slawisches. Vergleichbares gibt es nirgendwo in Europa.

Wer heute nach den Spuren dieses Zusammentreffens sucht, der muss schon genau hinschauen. Denn vieles ist verschwunden. Reisende, die es Mitte des 19. Jahrhunderts nach Pula verschlagen hatte, berichteten von schlammigen Straßen und einem Gestank, der aus den nahen Sümpfen kam. Pest und Malaria ließen das Leben in den Städten ersterben, den Rest besorgten die Überfälle der Türken und Genueser. Die herrschenden Venezianer aber hatten kein allzu großes Interesse daran, istrische Meeresstädte zu fördern. So verkam die istrische Kultur.

Dennoch blieb Ungewöhnliches erhalten. Die Glagoliza zum Beispiel, eine von den Slawenaposteln Kyrill und Method im 9. Jahrhundert entwickelte Schrift, die aus Kreisen, Dreiecken und Kreuzen besteht, findet sich bis heute auf Grabsteinen und in Kirchen. Oder aber die rumänischen Hirtendörfer an der Grenze zu Slowenien. Die byzantinischen Mosaiken in der Basilika von Porec. Die mittelalterlichen Totentanzfresken in Beram.

Das kulturelle Erbe steht heute freilich nicht gerade im Mittelpunkt der kroatischen Tourismuswerbung. Stattdessen setzt man auf Aktivurlaub: Bergsteigen und Mountainbiking rund um das Ucka-Gebirge, Tauchen und Segeln an der Küste. Vor allem Jachtbesitzer finden an der istrischen Küste ständig besser werdende Bedingungen. Jede auch noch so kleine Stadt hat ihre eigene Marina, der Bau von tausenden neuen Liegeplätzen ist bereits in Planung. Wer kein Segelboot besitzt, kann eines chartern, Skipper und Bordverpflegung inklusive.

Attraktiv ist das Segeln an der kroatischen Küste aus zwei Gründen. Da sind zum einen der Mistral, die Bora und der Jugo, heftige Winde, die für Tempo sorgen. Und dann gibt es die unzähligen Inseln der so genannten Kvarner Bucht, östlich des istrischen Festlands. Kahl, steinig, unwirtlich sind die einen, auf anderen empfängt einen der Duft von Salbei und Myrrhe. Wachsen Feigen- und Mandelbäume. Und selbst auf diesen Inseln lassen sich die beiden Hauptströme der istrischen Kultur erkennen. Auf Cres, dem italinischen Cherso, dominieren venezianische Palazzi. Auf dem benachbarten Lošinj dagegen die Sommervillen der Adligen aus Wien oder Budapest.

In der Sage der Argonauten mündet die Donau ins Mittelmeer und dies ist für den Triestiner Schriftsteller Claudio Magris Sinnbild für das Leben Istriens. Alles Schwere, worunter Mitteleuropa litt und immer noch leidet, würde sich so auflösen in maritimer Leichtigkeit. Wenn die Boote im Hafen von Krk anlegen, blicken die Ankommenden auf die mächtige romanische Festung der kroatischen Adelsfamilie Frankopani. Davor aber haben die Fischrestaurants ihre Tische ins Freie gestellt. Es riecht nach gegrillten Scampi, zu denen Salzkartoffeln serviert werden. Mittelmeer und Mitteleuropa eben.

Infos: Kroatische Zentrale für Tourismus, Rumfordstr. 7, 80469 München, Tel. (0 89) 22 33 44 oder www.istrien-travel.com. Für all diejenigen, die billige Privatunterkünfte suchen, gibt es ein benutzerfreundliches Angebot bei www.adria-home.de. Segelboote mieten kann man unter anderem bei SM Mediteran in Pula (www.sm-mediteran.com) oder bei www.charter katalog.de.

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