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Die sinnliche Sprache der Tänzer

Immer wieder das Unvorhersehbare locken: Der Regisseur und Choreograf Michael Laub bewegt sich mit seinen Aufführungen zwischen Trash, Hollywood und Bollywood auf der einen und klassischer Hochkultur auf der anderen Seite. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Hybride boomt: in der Popmusik, in der Literatur, im Film. Das Theater hingegen hat länger gebraucht als die anderen Künste, um die Vielsprachigkeit zu entdecken und die Unterschiede in der Herkunft als Kapital zu nutzen. Unter den Regisseuren gehört Michael Laub zu den Pionieren der Diversität. Schon seit Jahren steht unter seinen Stücken immer wieder: „In deutscher, englischer, dänischer und faröischer Sprache“. Seit in „Planet Lulu“ (1997) fünf Lulus nebeneinander – u. a. aus den USA eine Schwarze und zwei Weiße, eine aus Malaysia, eine von den Faröer-Inseln – ihre eigenen Geschichten, Mythen und Tänze in ihre Interpretation von Lulu einbrachten, funkelt das Fremde in Laubs Inszenierungen.

„Wir leben in postexotischen Zeiten“, stellt Michael Laub fest, „und fahren heute so einfach in den Fernen Osten wie früher nach Spanien.“ Dennoch ist Diversität für ihn keine Attitüde, die er, weil es hip ist und politisch korrekt, in seinen Stücken einnimmt. Ihn interessieren seine Darsteller nicht in erster Linie als Vertreter einer Kultur, sondern als Individuen: „Die Individuen sind das aufregendste und das unvorhersehbarste Element.“ Das Unvorhersehbare, das, was einem nur mit diesem einen Menschen, seinen Gedanken im Kopf und Erinnerungen im Körper geschehen kann, das ist es, was Michael Laub immer wieder hervorzulocken sucht. Der Weg dahin führt über Improvisationen. Laub lauert auf das, was er nicht kontrollieren kann, was sich als Zufall oder Unfall ereignet. So erzählt er, wie das Motiv seines neuesten Stückes, „The H. C. Andersen Project“, in Zürich uraufgeführt und heute und morgen Gast des Festivals „Tanz im August“ in Berlin, zum ersten Mal während der Proben zu einem ganz anderen Stoff, der Dichtung von Jean Genet, seinen Weg gekreuzt hat. In einer Improvisation über Kindheit und pervertierte Unschuld erzählte eine Schauspielerin, Hildigunn Eydfinsdottir, über ihr Lieblingskleid, in dem sie ihren ersten Kuss bekam. Laub bat sie, das Kleid auszuziehen und wusste, da sie schon lange mit ihm arbeitet, dass sie zu weinen beginnen würde. Er gab ihr eine Streichholzschachtel, einfach so, „und sie, eine Skandinavierin, die sehr in ihrem kulturellen Erbe lebt, erzählte dann nackt und weinend das Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern“.

Voilà, so einfach ist das. So einfach ist das natürlich nicht, denn die Sujets und Genres, die Laub auf der Bühne zitiert, wie Märchen in diesem Fall, Horrorfilm in „Frankula“ oder Bollywood in „Total Masala Slammer/Heartbreak No 5“, dienen immer auch als Vorwand, über das Leben in der Gegenwart und die Matrix zu erzählen, die unsere Wahrnehmungen und Gefühle prägt. Laub begann also zu recherchieren, wer dieser Andersen war, der in seinen Märchen „zwischen dem tiefsten Abgrund der Verzweiflung und der höchsten Euphorie keine Mitte kannte“. Er entdeckte den Dichter, der unglücklich darüber war, nur als Autor für Kinder anerkannt zu sein, der die Ballerinas und das Ballett liebte, aber nicht seine viel zu langen Beine und viel zu großen Füße, der in der großen Welt zu Hause sein wollte und sich dort als Außenseiter fühlte. „Wir alle fühlen uns linkisch und ungeschickt. Das Ungeschickteste ist, normal sein zu wollen, und das wollte Andersen mit aller Kraft. Er hat versucht, Normalität aufzuführen, den Künstler in der Gesellschaft zu geben, und das machte ihn fast wahnsinnig.“

Je länger Laub über Andersen redet, desto deutlicher wird, wie ihn dessen Schwächen anziehen. Für einen Moment zählt er die Parallelen zwischen sich und dem Dichter auf, um sie dann gleich wieder vom Tisch zu wischen.

Michael Laub, der aus Belgien stammt, hat selbst zehn Jahre in Skandinavien gelebt. Die französische Sprache, aus der er kommt, ist ihm zu ornamental, um damit zu arbeiten. Für seine Stücke brauche er die Direktheit des Angloamerikanischen, sagt er. Sicher liegt das an seiner Form der Wahrnehmung, die sehr stark auf den Rhythmus hört.

„Ich mag die Art, wie Tänzer reden“, sagt Michael Laub zum Beispiel. „Tänzer müssen mit fünf anfangen, sich um ihren Körper zu sorgen, sie müssen ganz anders leben als Schauspieler, sie haben andere physische Bedürfnisse.“ Diese Sensibilität dafür, wie die Form der Kunst, für die man sich entschieden hat, auch das eigene Erleben verändert, zeichnet Laubs Arbeit aus. Tanz und Sprache, Körper und Text umkreisen sich in den Inszenierungen seines Ensembles Remote Control Productions wie Planeten eines Systems. Sprache erhält eine Sinnlichkeit wie nicht oft auf dem Theater.

„The H. C.Andersen Project“ ist eine kleine kammermusikalische Produktion des eingespielten Ensembles, nach dem Laub in den letzten Jahren zwei Projekte mit vielen Kooperationen gestemmt hat. Sein größter Erfolg war das „Total Masala Slammer“ (2001) mit indischen Künstlern, eine Hommage an Bollywood und den Khatak und auch ein Stück über die kulturellen Unterschiede in der Produktion von Gefühlen der Liebe. Im Jahr darauf arbeitete er am Schauspielhaus Hamburg mit 14 Mitarbeitern des Hauses, unter ihnen Schauspieler, Fahrer, Putzfrauen und Pförtner, die sich jeweils in einem Sechsminutenporträt vorstellten. Manche hörten da nur ihre Lieblingsmusik, andere gaben Auskünfte über ihre Sexualität. Da forderte ihn vor allem die Arbeit mit den Nichtprofis heraus, deren Geschichten noch nicht durch die Performative der Kunst gegangen waren.

Die Produktionen von Michael Laub werden meist unter dem Label Tanztheater gesehen und besprochen. Verkehrt ist das nicht; aber viele Elemente seiner Inszenierungen sind inzwischen immer öfter auch auf den so genannten Sprechtheaterbühnen zu finden. Das gilt für den Umgang mit den Darstellern, dem Auskosten der Differenz zwischen Rolle und Persönlichkeit, ebenso wie für das Balancieren zwischen verschiedenen Kontexten: Trash, Hollywood und Bollywood auf der einen Seite, klassische Kulturtechniken auf der anderen. Nur einen Raum versucht er zu vermeiden: Das ist der in der Mitte, der Raum der Konventionen und der Routine. Bisher ist ihm das ganz gut gelungen.

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