Undogmatischer Surrealismus

Zur 90. Wiederkehr ihres Geburtstages präsentiert das Museum für Kunst und Gewerbe Meret Oppenheim, die mit ihrer „Pelztasse“ weltbekannt wurde, vor allem als erfinderische Designerin, deren Werke sowohl humorvoll als auch praktisch sind

von HAJO SCHIFF

Es gibt verkannte Künstler und solche, die weit berühmter sind, als sie es verdienen. Aber nur selten wird ein einzelnes Kunstwerk so bekannt, das es wie ein Markenzeichen funktioniert, seinen Schöpfer aber fast vergessen macht. Das geschah mit der Pelztasse. 1936 in einer nur wenige Tage dauernden Pariser Surrealistenschau von Alfred Barr gekauft, kam sie noch im selben Jahr ins New Yorker Museum of Modern Art und wurde zu einem Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts. Die Künstlerin Meret Oppenheim dagegen kannte jahrzehntelang kaum jemand. 1913 in Berlin geboren und in der Schweiz aufgewachsen, hatte sie mit 18 Jahren das Gymnasium aufgegeben und lebte 1936 bereits seit vier Jahren als freie Künstlerin in Paris. Dort hatte sie die Pelztasse wohl nach einem Gespräch mit Picasso und Dora Maar aus einem mit Pelz besetzten Schmuckring entwickelt.

Wenn das Museum für Kunst und Gewerbe und die Galerie Thomas Levy nun Meret Oppenheim zum 90. Geburtstag mit einer kleinen Retrospektive ehren, können sie zwar die Pelztasse nicht zeigen, aber eben jene Schmuckarbeiten, die mit deren Entstehungsprozess eng verbunden waren. Und es stellt sich heraus, das Meret Oppenheim auch eine präzise Designerin war, deren Entwürfe von Tischen mit menschlichen Beinen von Kleidern mit Tellern als Knöpfen bis zu Handschuhen mit aufgenähten Blutbahnen, Schmuck aus Knochen oder edel gefasstem Zucker reichen und durch intelligenten Witz bestechen.

Der Surrealismus kommt in der Ausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe nicht als die große dogmatische Setzung eines André Breton daher, sondern in abgemilderter Form. Schon mit 16 Jahren fragte sich Meret Oppenheim zum Beispiel, wenn mathematische Gleichungen Wurzeln haben, wo dann die Hasen bleiben – und collagierte X=Hase in ihr Schulheft. Ein Bild das noch 27 Jahre später als Beitrag zur Surrealistenzeitung taugte. Auch Hüte mit Wolken oder ein kleines goldenes Nest im Ohr als Schmuck sind nicht so stark der manieristisch-surrealistischen Methode verpflichtet, die Gegensätze zusammenzuzwingen, als vielmehr jenem Staunen des kleinen Mädchens, das allein im Wald an der großen und schönen Waldfrau einen Drachenschwanz entdeckt – eine Szene die Meret Oppenheim 1939 gemalt hat.

Das allerdings war schon knapp zwei Jahre nach ihrer Rückkehr aus dem wilden, bisexuellen Pariser Leben und während einer künstlerischen Krise, die noch weitere 16 Jahre andauern sollte. Die von Man Ray so oft fotografierte Künstlerin vergrub sich lange in düsteren Träumen und vermutete in einem Bild von 1940 das Paradies ganz tief unter der Erde.

Erst 1954 beginnt Meret Oppenheims eigentliche Karriere: Sie übersetzte Picassos Theaterstück Wie man die Wünsche beim Schwanz packt neu, beteiligte sich mit Kostümentwürfen und als Schauspielerin an der von Daniel Spoerri geleiteten deutschsprachigen Erstaufführung in Bern, setzte sich für die Rechte der Frauen im Kunstbetrieb ein und unterstützte feministische Positionen. Sie bekam Preise und Retrospektiven und nahm 1982 an der documenta teil. Erfolge, die ihre männlichen Kollegen zwar nicht hinderten, sie bis zu ihrem Tode 1985 weiterhin als „Meretlein“ zu bezeichnen, die aber deutlich machten, dass Oppenheim weit mehr war als „Muse“ und bloße Quelle männlicher Inspiration.

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz; bis 26. 10. Katalog 29,95 Euro.Die Galerie Thomas Levy (Magdalenenstraße 44) zeigt vom 8. 9 bis 13. 11. die Ausstellung Meret Oppenheim – Die Pelztasse war nur der Anfang