„Ich war und bin Schreibtischtäter“

Kommissar X

„Da kam die Beate Klarsfeld, die sich mit falschen Papieren eingeschlichen hatte, und hat Kiesinger eine geknallt. Das konnten wir nicht verhindern“

Auf seiner Visitenkarte steht „Der Polizeipräsident in Berlin. Direktion Spezialaufgaben der Verbrechens-bekämpfung – Führungsgruppe“. Seit 1992 ist der Kriminalhauptkommissar außer Dienst. Seit zehn Jahren stellt der heute 71-Jährige seine kriminalistischen Fähigkeiten der Maler- und Lackiererinnung Berlin zur Verfügung. Als deren „Beauftragter zur Bekämpfung der Schwarzarbeit“ durchforstet er Zeitungen nach Inseraten, hinter denen er Schwarzarbeiter vermutet. Pro Vierteljahr werden von ihm 25 bis 30 kleine Handwerker „ausgeschaltet“. Seinen richtigen Namen will er nicht sagen und nennt sich deshalb „Kommissar X“.

Interview BARBARA BOLLWAHN

taz: Wie wurden Sie „Beauftragter zur Bekämpfung der Schwarzarbeit“?

Kommissar X: Die Maler- und Lackiererinnung hatte im Sommer 1992, kurz vor meiner Pensionierung, einen pensionierten Malermeister, der sich um Schwarzarbeit gekümmert hat. Der war schon Mitte siebzig und ist in den Hinweisen auf Schwarzarbeit erstickt. Deshalb wurde ein Nachfolger gesucht. Der damalige Referatsleiter von der Gewerbepolizei hat der Innung gesagt, er werde sich mal umsehen. Da dachte er an mich, weil ich im Führungsstab gearbeitet habe und mit organisatorischen Aufgaben gut vertraut war. Ich hatte mir auch schon überlegt, was mit Ermittlungstätigkeit zu machen. Zum 1. Juli 1993 wurde ich dann offiziell eingestellt.

Wie gehen Sie vor?

Man muss erst überlegen, welche Quellen habe ich zur Verfügung, die ich abschöpfe. Das ist einmal der uralte Hinweis des Malermeisters, der in irgendeinem anderen Pinsel, der da unterwegs ist, einen Konkurrenten sieht. Ist ja verständlich. Dann Hinweise aus der Bevölkerung, wo Leute den Eindruck haben, das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn da welche mit der Aldi-Tüte ankommen und mit zwei Farbeimern aus verschiedenen Baumärkten und in einer Wohnung verschwinden. Die dritte Variante sind schriftliche Hinweise. Die sind fast immer anonym, aber wir müssen auch diesen Dingen nachgehen. Der Hauptbestandteil meiner Arbeit ist aber die Auswertung von Zeitungen. Schwerpunkt ist die Zweite Hand, Tip und Zitty, dann kommen BZ, Berliner Kurier und die Bezirkszeitungen. Unter Überschriften wie Bauarbeiten, Bauhandwerk, Maler oder Tapezierer oder unter Rubriken wie „Sonstiges“ oder „Biete“ werden handwerkliche Dienste angeboten. Nach der noch bestehenden Handwerksordnung darf für ein Gewerk aber nur der inserieren, der einen Meister hat und bei der Handwerkskammer eingetragen ist.

Und dann bewaffnen Sie sich mit Marker und Schere?

Ich schneide das betreffende Inserat aus und klebe es auf einen Vordruck für die Handwerkskammer. Der Zeitungsteil, in dem das Inserat steht, wird fotokopiert und als Beweis beigefügt, weil wir früher das Problem hatten, dass die Anwälte der Betroffenen bezweifelt haben, dass das Inserat tatsächlich aus der betreffenden Zeitung stammt. Auf der Kopie wird das Inserat dann mit einem Marker gemarkt. So haben wir doppelt genäht. Und immer dienstags, da bin ich bei der Innung, rufe ich von dort aus die Nummern aus den Inseraten an.

Melden Sie sich mit Ihrem Namen?

Nein, Ross und Reiter nenne ich nicht, sondern komme gleich auf den Punkt und sage, ich bin interessiert an der angebotenen Arbeit, und frage, ob stundenweise oder pauschal abgerechnet wird. Dann versuche ich, Name und Adresse zu bekommen, indem ich anbiete, Unterlagen über die auszuführenden Arbeiten zu schicken. Wegen des Datenschutzes bekommen wir keine Daten von der Post oder anderer Stelle.

Früher bei der Polizei wäre das kein Problem für Sie gewesen.

Bevor das mit dem Datenschutz so aktiviert wurde, hatten wir bei der Polizei die Möglichkeit, über die Post aufgrund der Telefonnummer den Anschlussinhaber zu bekommen. Diese Möglichkeit hat die Kammer nicht.

Bei dem Wort Datenschutz gucken Sie nicht besonders glücklich.

Die überspitzte Anwendung des Datenschutzes ist, wie wir schon in Polizeikreisen immer gesagt haben, Verbrecherschutz. Aus meiner Sicht – ich bin 41 Jahre im Polizeidienst gewesen – ist es so, dass unbescholtene Bürger, die ohnehin schon bei vielen Behörden datenmäßig erfasst sind, nichts zu befürchten haben.

Wie erfassen Sie Ihre Fälle?

Nach dem uralten Karteikartenprinzip. Da kann nichts abstürzen, nichts verloren gehen, nichts gelöscht werden. Man muss nur in der Lage sein, numerisch zu denken.

Wie funktioniert diese Kartei?

Nach Telefonnummern und farblich unterlegt. Wenn ich also eine orangefarbene Karteikarte ziehe, weiß ich, das sind die 700er-, 800er- und 900er-Nummern. Ziehe ich eine grüne Karte, sind das die 200er und 300er.

Wächst die Kartei ständig, oder fliegen Leute raus, die eine Abmahnung unterschrieben haben?

Die, die drin sind, bleiben. Ich habe festgestellt, dass zehn, zwölf Leute übers Jahr auftauchen, die vor drei, vier Jahren mal in Erscheinung getreten sind. Aber da wird nicht blindlings drauflosgehackt. Es kann ja sein, dass jemand seine Telefonnummer abgegeben hat. Das muss man dann nachprüfen.

Wer verbirgt sich hinter den Anzeigen?

Die wenigsten sind vom Dialog nach in den Bereich „sehr intellektuell“ einzustufen. Aber wenn ich einen habe, der einwandfreies Hochdeutsch spricht und auch das Vokabular aus der Baubranche beherrscht, der also weiß, was ein Leistungsverzeichnis und ein Voranschlag ist, dann denke ich, das ist zumindest einer, der handwerklich vorgebildet ist. Es gibt, wie wir inzwischen ermitteln konnten, auch Leute, die von Polen aus inserieren. Deren Texte weichen völlig von den üblichen ab. Die merken gar nicht, dass sie dadurch auffallen: „Wir sind die Besten, haben die feinsten Leute, nirgendwo billiger als bei uns.“

2002 haben Sie 1.129 Inserenten erfasst, 320 Erst- und 809 Wiederholungstäter. Wenn Sie erfolgreich sind, werden die Anbieter aufgefordert, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Weigern sie sich, droht ihnen ein Ordnungsgeld. Reagiert jemand auf die Abmahnung nicht, wird eine einstweilige Verfügung angestrebt oder per Gerichtsverfahren eine Unterlassungserklärung. Erfüllt Sie das mit Stolz?

Es freut mich, wenn sich die Arbeit gelohnt hat. Nichts ist für einen Schreibtischtäter, der ich war und der ich bin, schlimmer als eine unbefriedigende Arbeit; dass man den Monat oder das Jahr abschließt und sagt, ach Mensch, wieder keine Verurteilung, wieder ein Freispruch, obwohl der so eine Latte hatte – das jetzt auf meinen früheren Dienstbereich bezogen. Und bei der Innung ist es so, dass man sich freut, dass man die Situation wieder so ein bisschen in den Griff bekommen hat. Seit anderthalb Jahren betreiben wir in Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt Abmahnungen wegen unlauteren Wettbewerbs. Das ist sehr, sehr wirksam. Wir haben bei denen, die abgemahnt werden, praktisch nur zehn Prozent Wiederholer, alle anderen lassen es sein. Oft hat meine Arbeit auch präventiven Charakter. Wenn mir jemand am Telefon nicht koscher vorkommt, flechte ich ganz nett umschrieben den Hinweis ein, dass der Inserent davon ausgehen kann, dass eine nicht genehmigte Tätigkeit ein Strafverfahren zur Folge haben kann. In 50 Prozent der Fälle wird das Inserat dann nicht mehr geschaltet.

Ihr Mitgefühl hält sich in Grenzen bei denen, die Sie anschwärzen?

Es ist ja nicht so, dass ich als Bürger Meyer den Bürger Krause anscheiße, auf Deutsch gesagt, sondern ich habe eine feste Aufgabe und handele aufgrund bestehender Gesetze. Wer Arbeiten annonciert, die er nicht ausführen darf, der muss wissen, dass das nicht richtig ist und dass er irgendwann ins Fadenkreuz der Ermittlungen kommt.

Keine Angst vor Racheakten?

Bis jetzt ist es mir gelungen, meine Personalien rauszuhalten. Es war zwar in einer der Fachzeitschriften mal ein Foto von mir drin. Aber damit hat es sich. Ich will ja mit meinem Auto heil nach Hause kommen und heile Fensterscheiben in der Wohnung haben.

Wie kam es, dass Sie zur Polizei gegangen sind?

Ich habe 1947 angefangen, Maurer und Betonbauer zu lernen, ordnungsgemäß mit Gesellenprüfung. Aber es fehlte an allen Ecken und Enden, und Kurzarbeit stand bevor. Ich war damals schon verheiratet, hatte ein Kind, und irgendwie musste Geld in die Kasse kommen. Ein Freund, der bei der Polizei war, sagte mir, Mensch, du bist gut gebaut, du hast ein bisschen Grips, versuch’s doch mal. So fing ich 1952 bei der Polizei an und habe die Hühnerleiter von unten bis oben beklettert. Die letzten 16 Jahre habe ich im Vorzimmer vom Kripochef gesessen, direkt an der Stabsstelle. Vorher habe ich sieben Jahre Observation und Personenschutz gemacht, also Politikerbegleitung, Rumdackeln mit den Prominenten.

„Es ist nicht so, dass ich als Bürger Meyer den Bürger Krause anscheiße, sondern ich handle aufgrund bestehender Gesetze“

Wen haben Sie beschützt?

Ich hatte als Stammleute Klaus Schütz (Regierender Bürgermeister von Berlin von 1967 bis 1977, Anm. d. Red.) und Kurt Neubauer (Innensenator in den 70ern). Und dann Politiker aus Westdeutschland und aus dem Ausland. Ich gehörte damals auch zum Nixon-Kommando.

Erzählen Sie.

Ich war beim Begleitkommando und habe immerhin im dritten Wagen nach Nixon gesessen. Wenn er ausgestiegen ist, mussten wir auch aussteigen. Einen kleinen Zwischenfall habe ich mal miterlebt, als der damalige Bundeskanzler Kiesinger in der Kongresshalle sprach. Mit zwei Kollegen stand ich neben dem Podium. Da kam die Beate Klarsfeld, die sich mit falschen Papieren eingeschlichen hatte, und hat ihm eine geknallt. Das konnten wir nicht verhindern.

Auf Ihrer alten Visitenkarte steht „Direktion Spezialaufgaben der Verbrechensbekämpfung – Führungsgruppe“. Das klingt sehr wichtig. Ist Ihre jetzige Aufgabe im Vergleich dazu nicht Kleinkram?

Für die Innung ist sie wichtig, weil ein sehr ruinöser Wettbewerb auf dem Markt herrscht. Deshalb ist es schon wichtig, wenn ich übers Vierteljahr gesehen 25, 30 Leute ausschalten kann.

Leute ausschalten – der Polizeijargon sitzt tief.

Das lässt sich nicht vermeiden. Vom Ermittlungsansatz her sind das schon Erinnerungen an das, was ich früher gemacht habe.

Wie lange wollen Sie noch Schwarzarbeiter jagen?

Vom Gesundheitlichen her habe ich mir keine Grenze gesetzt. Aber wenn die neue Handwerksordnung kommt, bei der bei vielen Gewerken der Meisterzwang wegfallen soll, wird es kaum noch Schwarzarbeit geben. Dann kann nämlich jeder eine Bude aufmachen, ohne sich bei der Handwerkskammer registrieren zu lassen. Somit würde für mich die Möglichkeit entfallen, festzustellen, ob jemand arbeiten darf oder nicht. Das wäre ein bisschen ärgerlich, oder betrüblich, sagen wir mal. Damit müsste ich mich abfinden. Vorbei ist vorbei.