nebensachen aus warschau
: Die Warschauer trauen dem Leitungswasser nicht. Das sorgt für manche Überraschung

Das Wasser kommt aus dem Brunnen – wie früher auf dem Dorf

Als mich meine Mutter einmal in Warschau besuchte, guckte sie zwei Stunden lang von meinem Balkon auf die Kreuzung, auf die Fußgänger, die Läden und Kioske. Dann drehte sie sich um und sagte: „Die sehen ganz normal aus, die Polen.“ Aber es gab auch Merkwürdigkeiten. Diese Karawanen von Menschen mit den Wasserkanistern zum Beispiel. „Was machen die da?“, fragte sie. Auch in meiner Küche standen zwei Fünf-Liter-Flaschen „Reines Quellwasser“.

Doch meine Mutter dachte wohl, ich sei auf dem Naturtrip und würde deshalb kein Leitungswasser trinken. „Komm“, sagte ich und schnappte mir eine leere Flasche: „Ich zeige es dir.“ Auf der belebten Dobra-Straße schlossen wir uns der Karawane der Kanisterträger an, bogen links in einen kleinen Park und sahen von weitem die Menschenschlange. Meine Mutter deutete auf das weiße Häuschen: „Und ich dachte, das wären öffentliche Toiletten.“ Sie wusste nicht weiter. „Brunnen“, half ich ihr aus. „Die Warschauer trinken kein Leitungswasser. Angeblich ist es das aufbereitete Wasser aus der Weichsel. Na, und wenn gerade mal die Kläranlage nicht funktioniert …“ Meiner Mutter sah mich an: „Uuuäääääh.“ Resolut nahm sie mir die Riesenflasche aus der Hand, stellte sich in die Schlange und fuhr mich an: „Was stehst du so rum? Besorg noch ein, zwei Flaschen. Wir brauchen Wasser!“ Bevor ich antworten konnte, baute sich eine alte Frau vor ihr auf: „Droga Pani!“, legte sie los, „Liebe Frau! Ich bin vor 15 Jahren nach Warschau gekommen. Und bis heute hole ich wie auf dem Dorf das Wasser vom Brunnen!“ Gebieterisch deutete sie auf die leere Plastikflasche. Bevor meine Mutter wusste, wie ihr geschah, hatte sie bereits die Flasche abgegeben und der alten Frau sogar noch geholfen, den gefüllten Kanister in den altersschwachen Kinderwagen zu hieven. Wir trotteten nach Hause. Meine Mutter schüttelte den Kopf, murmelte: „Wir haben kein Wasser. Wir haben kein Wasser.“ Zu Hause angekommen klopfte ich bei den Nachbarn: „Nie mamy wody“ (Wir haben kein Wasser), sagte ich. Die Nachbarin reichte eine volle Fünf-Liter-Flasche heraus und meinte freundlich: „Keine Ursache.“ Meine Mutter nippte am frisch gebrühten Kaffee, schnupperte, nippte noch einmal. „Mein erster Brunnen-Kaffee!“, meinte sie und ging zurück auf den Balkon, um der Wasserkarawane nachzusehen.

Vier Jahre später steht meine Mutter wieder auf meinem Balkon, diesmal allerdings in der Asfaltowa. Ich bin umgezogen. Sie staunt wieder: „Haben alle Polen zwei Hunde? Und was kriegen denn die Hunde zu trinken?“ Als kurz darauf ein Tankwagen mit seinem „Düdeldü“-Signal in die Asfaltowa einbiegt, alle Nachbarn auf ihre Balkone treten und den beiden Wassermännern zurufen, wie viele Fünf-Liter-Flaschen sie hochbringen sollen, ist sie schwer beeindruckt: „Ein Hunde-Frischwasser-Service! Toll! So was sollten sie bei uns auch einführen!“

GABRIELE LESSER