Der Vernunft ein Auge ausgestochen

betr.: „Der Gott der Vernunft“

Muss jeder unsinnige Satz toleriert werden, sobald man ihn als „Glaubenssatz“ etikettiert? Religionen dienten früher mit ihren Schöpfungsmythen und Wunderlegenden auch als Welterklärung. Diese wurde schrittweise abgelöst durch eine argumentierende Wissensgewinnung, die auf von jedem überprüfbare Belege setzt. Der „Glaubenssatz“ „Die Erde ist eine Scheibe und steht im Zentrum des Universums“ wurde so als nicht zutreffend, als unwahr erkannt. Auf diese Weise wurden sehr viele Glaubenssätze durch Wissenssätze ersetzt. Der Satz „Die Erde ist eine Scheibe“ kann nun nicht mehr dadurch gerettet werden, dass man ihn als Glaubenssatz deklariert. Auf dem Hintergrund des heute verfügbaren Wissens bleibt er einfach unsinnig, wie auch die religiöse Wunschvorstellung, gestorbene Lebewesen könnten wieder lebendig werden (Auferstehung).

Diese Glaubenssätze sind „religiöse Übergriffe“ auf das Wissen und deswegen auch als Glaubenssätze nicht tolerierbar. Wissenssätze können von jedem überprüft werden, der seine argumentative, auf Belege verweisende Vernunft benutzt. Martin Luther hatte Recht mit seiner menschenverachtenden Feststellung: „Wer Christ sein will, der steche seiner Vernunft die Augen aus.“ In seiner Kritik an Gerd Lüdemann hat Rudolf Walther seiner Vernunft zumindest ein Auge ausgestochen. OTTO ULLRICH, Berlin

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