„In die Stadt nur mit sauberem Diesel“

Feine Partikel aus Abgasen lösen Krebs aus. Die deutschen Politiker haben sich darum viel zu lange nicht gekümmert, sagt Erich Wichmann. So verliere jeder Bürger drei Monate seines Lebens. Schon ab 2005 könnten Städte nun aber Fahrverbote erteilen

INTERVIEW HANNA GERSMANN

taz: Professor Wichmann, unsere Politiker sind stolz, weil sie für weniger Dreck in der Luft gesorgt haben – und wir wieder durchatmen können. Stimmt nicht, sagen Sie. Warum?

Erich Wichmann: Die Luft ist in den letzten Jahrzehnten schon sauberer geworden, aber ein Prolem ist geblieben. Das sind die ganz feinen und ultrafeinen Stäube, also diejenigen, die kleiner als zehn Mikrometer und kleiner als ein Zehntel Mikrometer im Durchmesser sind.

Staub ist doch eigentlich ein harmloser Stoff. Was macht ihn so gefährlich?

Feinstaub dringt in die Lunge, ultrafeiner Staub sogar in die Blutbahn ein. So wird er im ganzen Körper verteilt. Und das kann krank machen, weil an ihm zahlreiche giftige, zum Teil krebserzeugende Stoffe kleben. Über die Rolle der einzelnen Substanzen wissen wir zwar noch wenig. Uns ist aber klar, dass das Gemisch in unserer Atemluft ein Risiko ist – von Atemwegserkrankungen über Herz-Kreislauf-Probleme bis hin zu Lungenkrebs.

Warum haben Wissenschaftler diese Killer vom Allerfeinsten erst so spät erkannt?

Wir dachten zunächst, es reiche aus, die groben Stäube aus der Luft zu fischen. Dann ist aber etwas passiert, womit wir nicht gerechnet haben: Die Luft wurde sauberer – aber der Anteil der feinen und ultrafeinen Partikel nahm zu. Große Staubteilchen fangen die kleinen ein. Fehlen aber die groben Fänger, halten sich die feinen länger in der Luft.

Ein Paradox der Umweltpolitik? Weil Maßnahmen greifen, funktioniert der Selbstreinigungseffekt nicht mehr?

Das sind einfach neue Erkenntnisse. Hier zeigt sich, wie schwierig es ist, Partikel effektiv zu bekämpfen, die bei jeder Verbrennung entstehen, beim Rauchen von Zigaretten ebenso wie durch die Industrie und Hausbrand. Besonders stark trägt allerdings der Autoverkehr bei, und am wichtigsten ist der Dieselmotor.

Das ist die schwarze Abgaswolke?

Für den dunklen Dunst sind die gröberen Partikel verantwortlich. Die gefährlicheren feinen hingegen erkennt man nicht. Sie kommen auch aus einem vermeintlich sauberen Diesel, der keinen Filter hat.

Wie kann man sich schützen?

Höchstens aufs Land ziehen, was natürlich nicht praktikabel ist. Nur Fenster zumachen hilft in der Stadt nicht, die Partikel kriechen durch jede Ritze. Deshalb muss die Politik endlich Grenzwerte vorgeben.

Rot-Grün ist zu lethargisch?

Egal welche Regierung – um das Feinstaubproblem hat man sich lange Zeit nicht genug gekümmert. Immerhin haben Bundeskanzler und Umweltminister jetzt festgelegt, dass Rußfilter für Diesel eingeführt werden sollen.

Sie kommen aber zu spät. Schon ab 2005 gelten neue EU-Grenzwerte, die in einigen Städten derzeit um das Dreifache überschritten werden. Was tun?

Viele Kommunen werden nicht umhinkommen, den Verkehr besser zu steuern. Besonders belastete Städte könnten zum Beispiel nur denen die Fahrt in die Innenstadt erlauben, deren Diesel einen Rußfilter hat.

Das klingt aber nach politischem Selbstmord des Bürgermeisters.

Selbstverständlich ist jeder Autofahrer ein Wähler. Doch angesichts der Todeszahlen …

die wirken willkürlich, mal ist von 10.000 Toten durch Dieselruß die Rede, mal von 19.000. Wie ist das zu erklären?

Die richtige Zahl lautet 14.000 zusätzliche Verstorbene pro Jahr allein durch Dieselruß. Der statistische Schwankungsbereich reicht aber von 10.000 bis 19.000. Wir stützen uns dabei auf Studien zu Langzeitwirkungen von Feinstaub – und die Sterblichkeit. Dazu haben wir berechnet, wie viel Feinstaub sich einsparen lässt, wenn alle Diesel einen Filter bekommen. So ergeben sich dann die Todeszahlen.

Das heißt für den Einzelnen?

Weil Schwebstaub Krankheiten auslöst, die zumeist im fortgeschrittenen Alter auftreten, kann man auch sagen: Im Schnitt verliert jeder Bürger bis zu drei Monate seines Lebens. Und dabei schätzen wir noch vorsichtig.