Ende der gelähmten Republik?

Mehr Kompetenzen für die Länder, weniger Macht für den Bundesrat: Wie eine Kommission von morgen an den Föderalismus reformieren soll

Die Idee, die Länder auch über eigene Steuersätze entscheiden zu lassen, ist bereits gescheitert

von RALPH BOLLMANN

Wenn sie gelingt, dann ist es die wichtigste Reform überhaupt. Wichtiger zumindest als die Änderungen bei Gesundheit oder Rente, Steuern oder Arbeitsmarkt. Denn ohne sie kann alles andere nur scheitern, ohne sie kann auch aus den großen Konzepten nichts werden, die Sozialpapst Bert Rürup in dieser Woche präsentieren wird.

Nichts weniger als eine Reform des deutschen Föderalismus haben die Chefs der vier Bundestagsfraktionen im Sinn, wenn sie sich am morgigen Dienstag treffen und eine eigene Kommission mit dem Projekt betrauen. Das Ziel: Der Bund soll den Ländern in ihre Kompetenzen nicht mehr so stark hineinregieren wie bisher. Im Gegenzug sollen die Länder auf ihre Blockademacht im Bundesrat zum großen Teil verzichten. Die Lähmung der Bundespolitik wäre beendet, hoffen die Befürworter.

Dabei geht es im Kern nur darum, den Zustand von 1949 wieder herzustellen. Als die Verfassungsväter die Artikel über den Bundesrat ins Grundgesetz schrieben, schätzten sie den Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze auf etwa 10 Prozent. Heute, mehr als 50 Jahre später, muss die Bundesregierung fast zwei Drittel ihrer Vorhaben durch die Mühlen der Länderkammer schicken – und dabei oft genug zu feinstem Staub zermahlen lassen.

Die Blockademacht im Bundesrat war der Preis, den sich die Länder für den Verzicht auf eigene Kompetenzen bezahlen ließen. Der Glaube an die Allmacht zentraler Planung und Lenkung führte Ende der Sechzigerjahre dazu, dass der Bund plötzlich überall mitreden wollte – vom Hochschulbau bis zum Verkehrswegeplan.

Die Folge war eine heillose Mischung der Verantwortlichkeiten. Seither gibt es kaum noch ein Projekt, das nicht von Bund und Land gemeinsam finanziert würde, und kaum noch ein Themenfeld, das nicht von einer zuständigen Bund-Länder-Kommission beackert würde. Dass die Wähler laut Umfragen kaum noch wissen, was Bundestags- und Landtagswahlen unterscheidet, kann man ihnen daher kaum vorwerfen.

Ein erstes Reformkonzept hat der Arbeitskreis der Juristen in der CDU/CSU schon vorgelegt. Die Runde um Rechtspolitiker Norbert Röttgen und Exverfassungsrichter Ferdinand Kirchhof will die Zahl der Zustimmungsgesetze auf das ursprüngliche Maß zurückfahren. Dafür soll der Bund auf jene Kompetenzen verzichten, die er sich im Lauf der Zeit von den Ländern angeeignet hat. Vor allem die Rahmengesetze, mit denen der Bund in fast alle Länderkompetenzen eingreift, sollen verschwinden.

Doch genau dazu ist die Bundesregierung bislang nicht bereit. In den Vorgesprächen habe der Bund, so wird aus Länderkreisen in pikiertem Tonfall kolportiert, lediglich den Verzicht auf marginale Kompetenzen wie die Bekämpfung von Freizeitlärm offeriert. Bei allen Themen, die der Zentrale Macht und Einfluss sichern, mauern die rot-grünen Unterhändler aus Berlin.

Aber auch in vielen Landeshauptstädten ist man keineswegs so reformfreudig, wie es die markigen Worte des Müncheners Edmund Stoiber (CSU), des Wiesbadeners Roland Koch (CDU) oder des Düsseldorfers Peer Steinbrück (SPD) stellvertretend für die großen und finanzstarken Länder vermuten lassen.

Bei allen Themen, die Macht und Einfluss sichern, mauern die rot-grünen Unterhändler aus Berlin

Die armen Brüder und Schwestern in den Stadtstaaten, im Saarland oder im Osten sind an zusätzlichen Kompetenzen kaum interessiert. Sie könnten neue Aufgaben schlichtweg nicht bezahlen. Obendrein nähme ihnen der Verzicht auf die Vetomacht im Bundesrat die Möglichkeit, bundespolitisches Wohlverhalten meistbietend an die jeweilige Bundesregierung zu verkaufen.

Die Idee, die Länder auch über eigene Steuersätze entscheiden zu lassen, ist an diesem Zwist bereits gescheitert, noch bevor die fraktionsübergreifende Reformkommission mit ihrer Arbeit überhaupt begonnen hat. Gerade die ärmeren Länder fürchten einen ruinösen Wettlauf um Steuersenkungen, den sie bei ohnehin schlechteren Standortbedingungen nur verlieren können. Änderungen auf diesem Gebiet, so hieß es schon im Vorfeld aus Verhandlerkreisen, hätten keine Aussicht auf die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundesrat.

Streit gibt es unter den Akteuren auch über die Frage, wer bei der Reform überhaupt mitreden soll. Als „angemessene Zusammensetzung“ sieht SPD-Fraktionschef Franz Müntefering „eine Kommission mit 32 Mitgliedern, von denen je 16 dem Bundestag und dem Bundesrat angehören“. Doch inzwischen haben auch die Länderparlamente ihren Anspruch angemeldet, am Verhandlungstisch zu sitzen. Das könnte die Reformdebatte durchaus beleben: Während sich die Ministerpräsidenten im Rampenlicht des Berliner Bundesrats sonnen, bleibt den Abgeordneten oft nur ein Schattendasein. Daran würde sich nur etwas ändern, wenn die Länder wieder eigene Gesetze machen dürften.

Das Gezerre im Vorfeld lässt für die Reform allerdings nichts Gutes ahnen. Womöglich scheitert das Vorhaben an genau jenen Mechanismen der bundesstaatlichen Blockade, die es eigentlich beseitigen will.