Es wird gerührt und geschüttelt

In der Koalition ist bereits der Kampf um die Diskurshoheit in Sachen Rürup entbrannt. Für die Grünen ist die Gesundheit der Wahlkampf-Hit 2006. Hinter dem Versuch von Fraktionschefin Göring-Eckardt, Begriffe zu pachten, steckt ein neuer Vorstoß in Richtung Kopfpauschale

BERLIN taz ■ Den Grünen ist mittlerweile wieder eingefallen, dass die „Bürgerversicherung“ ja einmal ihre Idee war. Nur war spätestens mit dem Abgang Andrea Fischers, die im Januar 2001 vom Amt der Gesundheitsministerin zurücktrat, Sozialpolitik kein grünes Leib-und-Magenthema mehr. Mit dem Streit um die Zukunft des Gesundheitssystems wird das nun wieder anders.

Nicht nur dass Außenminister Joschka Fischer sich plötzlich mit Sätzen zur Bürgerversicherung zitieren lässt. Parteichef Reinhard Bütikofer will darin schon das Wahlkampfthema für 2006 erkannt haben. Die beiden Fraktionschefinnen im Bundestag, Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt, versuchen sich gegenseitig darin auszustechen, so oft wie möglich mit der Forderung nach einer Bürgerversicherung zitiert zu werden.

Gegenwärtig hat Göring-Eckardt dabei die Nase vorn. Sie punktet mit der Behauptung, Bürgerversicherung und Kopfpauschale seien nicht als zwei sich ausschließende Alternativen anzusehen. „Ich halte die Entgegensetzung von Kopfpauschale und Bürgerversicherung für einen Scheinwiderspruch“, sagte sie jüngst. „Möglicherweise könnte man mit einer Kombination aus beiden Vorschlägen die Abgaben senken und das System gerechter gestalten.“

Genau dies jedoch bestreiten die beiden Strategen Bert Rürup und Karl Lauterbach: „Beide Vorschläge sind in sich geschlossene Konzeptionen“, heißt es im Abschlussbericht der Rürup-Kommission. Bei allem Krach in der Kommission darüber, dass Rürup und Lauterbach die Meinungsbildung monopolisiert haben, hat den zweien darin zumindest keiner widersprochen: Einen „Dritten Weg“ hat niemand formuliert. Nur die Privatversicherer – vertreten vor allem vom Freiburger Ökonomen Bernd Raffelhüschen – sprechen sich grundsätzlich dagegen aus, das allgemeine öffentliche Gesundheitssystem zu erhalten.

Göring-Eckardt behauptet auch nicht, dass sie einen Kompromiss konzipiert hat. Die Fraktionschefin will jedoch die Diskussion für die Grünen zurückerobern, genauer gesagt: Sie will den Begriff „Bürgerversicherung“ zurückholen und neu besetzen. Ihr passt nicht, dass es Lauterbach gelungen ist, den so modern und demokratisch klingenden Begriff „Bürgerversicherung“ für sich zu pachten, während Rürups „Kopfpauschale“ dagegen hässlich und mittelalterlich wie eine Kopfsteuer daherkommt.

Allerdings geht es dabei nicht nur um Worte. Göring-Eckardt ist der Meinung, dass die Kopfpauschale nicht unbedingt unsozialer ist als die Bürgerversicherung à la Lauterbach. Die „Kombination“, mit der manche Spitzengrüne gegenwärtig jonglieren, wäre demnach eine Kopfpauschale unter dem Namen Bürgerversicherung nach dem Modell der Schweiz: Alle zahlen eine einheitliche Prämie, auch Beamte und Selbstständige, und der soziale Ausgleich wird aus dem Steuertopf geleistet.

Doch nicht nur die Grünen versuchen, aus dem Schema „Rürup oder Lauterbach“ auszubrechen. Auch die SPD-Linke lässt derzeit ein Mixmodell durchrechnen, erklärte Fraktionsvize Michael Müller gestern der taz. Genaueres werde erst auf einem Treffen der SPD-Linken in zwei Wochen in Frankfurt erörtert. Grundsätzlich, sagte Müller, greife auch der Rürup-Bericht zu kurz: „Die Fragen nach dem Zusammenhang von Umwelt und Gesundheit, von Arbeit und Gesundheit gehören unbedingt wieder in die Debatte.“ ULRIKE WINKELMANN