Pharmapolitik nach dem Floriansprinzip

In dieser Woche wird die Pharmaindustrie einen neuen Vorstoß unternehmen, um den Sparauflagen der Gesundheitsreform zu entkommen. Noch tut das Gesundheitsministerium so, als würde es nicht nachgeben

BERLIN taz ■ Die Regierung darf vor der Pharmaindustrie nicht einknicken – dies fordert der Chef des Bundesausschusses von Ärzten und Kassen, Rainer Hess. Er fürchtet, dass Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den großen Pharmafirmen nachgibt. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) will seine neuen, teuren und vielverkauften Produkte vor einem Preisdeckel bewahren. Dann aber „wird der Wettbewerb, den man zwischen den Herstellern wollte, verhindert“, sagte Hess zur taz. Der Pillen-Preiswettbewerb war jedoch ein Ziel der Gesundheitsreform.

Sorgen bereitet Hess ein Gespräch, das einige Pharmabosse mit Schmidt, Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und Gerhard Schröder im Kanzleramt geführt haben (taz berichtete am 8. Juli). Der VfA war danach so auffällig zufrieden.

Offiziell hatte er jedoch nur die Chance bekommen zu erklären, wie die Pharmaindustrie die eine Milliarde Euro erbringen kann, die ihr als Sparsumme ab 2005 zugedacht ist – wenn nicht durch eine Preisdeckelung der VfA-Produkte. Das Reformgesetz sieht vor, dass für patentgeschützte Pillen nur genauso wenig gezahlt wird wie für die günstigeren Nachahmerprodukte (Generika) – wenn die patentgeschützten Medikamente keinen neuen therapeutischen Nutzen bringen. Diese „Scheininnovationen“ von echten Innovationen zu unterscheiden – dafür ist Hess’ Bundesausschuss zuständig.

Dem Bundesausschuss und dem Ministerium legte der VfA in der vergangenen Woche also den Plan vor, die patentgeschützten Pillen in Ruhe zu lassen. Die Milliarde solle man doch bei den Generika-Herstellern holen, die zufällig nicht im VfA sind.

Was davon zu halten ist, haben die Krankenkassen jedoch bereits ausgerechnet. „Folgt man den Forderungen der Industrie, wird sich das vorgesehene Einsparvolumen halbieren“, schreibt der BKK-Bundesverband in einem Brief ans Ministerium. Würden die Generika-Preise noch weiter gedrückt, würde man die Hersteller und damit die Versorgung gefährden. Die VfA-Initiative „zu Lasten der Generika folgt somit dem Floriansprinzip“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt.

Seither pflegt das Ministerium Schmidt Prinzipien-, also Reformtreue und gibt sich selbstbewusst: „Wir fallen auf die Taschenspielertricks der Pharmaindustrie nicht herein“, erklärte ein Ministerialer der taz. Mit Sicherheit werde Schmidt nicht davon abrücken, sich die Milliarde beim VfA zu holen. Merkwürdigerweise jedoch hat das Ministerium dem VfA trotzdem erneut die Chance eingeräumt, neue Vorschläge zu machen. Diese Woche würden „noch einmal Daten ausgetauscht“, erklärt Schmidts Sprecher Klaus Vater.

Auch bei diesem Vorstoß des VfA dürfte ein bereits bekanntes Drohszenario herauskommen: Die Pharmariesen sehen den Forschungsstandort Deutschland gefährdet, wenn sie ihre Pillen billiger machen müssen. Dieses Argument verfängt beim Kanzler regelmäßig. Die Gesundheitsministerin dagegen weiß, dass multinationale Konzerne ihre Forschungsstandorte nicht danach aussuchen, wo sie die höchsten Preise erzielen.

Die hohen Preise in Deutschland, erklärt Hess, „sind denen bloß wichtig, weil sie danach die Preise im Rest Europas ausrichten können“. Er lasse dahingestellt, ob die deutschen Krankenversicherten für die europäische Preisstrategie der internationalen Pharmakonzerne bezahlen müssten. ULRIKE WINKELMANN