„Das ist dumm Tüch“

Schulsenatorin Christa Goetsch erklärt im taz-Interview, sie plane weder eine Quote für Gymnasien noch die Schließung derselben. Richtig viel Arbeit liege bei der Integration der Sonderschulen vor uns

CHRISTA GOETSCH, 56, GAL-Schulsenatorin. Bis 2002 hat sie an der Theodor-Haubach-Schule in Altona unterrichtet. FOTO: DPA

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Frau Goetsch, die Zahl der Schulabbrecher ist auf 8,2 Prozent gesunken, die der Abiturienten auf 38,5 Prozent gestiegen. Brauchen wir überhaupt noch eine neue Schulstruktur?

Christa Goetsch: Die Grundprobleme unseres Schulsystems bleiben leider trotz dieser Zahlen bestehen: Es ist nicht gerecht und nicht leistungsstark genug. Wir haben im europäischen Vergleich nach wie vor viel zu wenig Abiturienten. Zudem wissen wir, dass das allgemeine Niveau im nationalen und internationalen Vergleich in Hamburg zu niedrig ist. Und wir wissen auch, dass die Chancen für Einwandererkinder hier besonders schlecht sind.

Ihnen wird vorgehalten, Sie hielten diese Zahlen zurück.

Die Zahlen stehen im Netz und wurden auch an die Fraktionen der Bürgerschaft verschickt. Wer bei Google „Hamburger Schulstatistik“ eingibt, findet sie sofort. Geheimhaltung sieht wirklich anders aus.

Zu lesen war auch, es gäbe eine Quote fürs Gymnasium.

Das ist dumm Tüch. Es gibt keine Vorgaben, wie viele Schülerinnen und Schüler in welche weiterführende Schulform gehen sollen. Das wäre pädagogischer Unfug. Wir wollen, dass mehr Kinder zu guten Abschlüssen geführt werden.

Aber es gibt eine Planungsgröße für die regionalen Schulkonferenzen?

Wir arbeiten mit den aktuellen Ist-Zahlen, die wir auch den regionalen Schulkonferenzen zur Verfügung gestellt haben. Aber es gibt keine Quote und keine Zielzahlen. Das Ziel ist, mehr Kinder zum mittleren Bildungsabschluss und zum Abitur zu bringen.

Mit wie viel Siebtklässlern an Gymnasien rechnen Sie? Zurzeit sind es 41,5 Prozent.

Das ist der aktuelle Hamburger Mittelwert, mit dem wir rechnen. Diese Zahlen können in den Bildungsregionen davon abweichen.

Es gibt Verfechter einer Quote. In der Hamburger Lehrerzeitung heißt es, 30 Prozent wären eine „realistische Übergangsquote“ fürs Gymnasium. Weil die Gymnasien ja künftig alle Schüler behalten müssten und im jetzigen System nur 30 Prozent glatt das Turbo-Abitur durchlaufen würden.

Die Diskussion so herum zu führen, ist meines Erachtens falsch. Wir können ja nicht jetzt festsetzen, wie sich Kinder entwickeln. Wichtig ist: Egal ob Stadtteilschule oder Gymnasium, beide Wege führen nach der Primarschule zum Abitur. Das heißt, es gibt keine falsche Entscheidung. Der Vorteil ist, dass nicht wie heute Kinder in der Beobachtungsstufe des Gymnasiums leidvolle Abschulungen erleben, sondern ihr Weg länger und intensiver begleitet wird bis einschließlich der Klasse 6. Und danach ist kein Weg verbaut. Das attraktive an der Stadtteilschule ist, dass die Kinder ein Jahr mehr Lernzeit haben, so dass sie zum Beispiel in der 11. Klasse leicht einen Schüleraustausch im Ausland machen können.

Vertreter der Gesamtschulen fürchten, dass die Stadtteilschule für bildungsorientierte Eltern nicht attraktiv ist.

Diese Sorge kann man entkräften. Sehen Sie sich die Anmeldezahlen der starken Gesamtschulen an, die laufen über. Diese Schulen sind sehr attraktiv aufgrund ihrer Profile und ihrer interessanten reformpädagogischen Arbeit.

Es gibt aber auch Stadtteilschulen, die jetzt aus Haupt- und Realschulen (HR) neu entstehen. Sind die Chancen, das Abitur zu machen, an allen Stadtteilschulen gleich gut?

Die Chancen sind überall gleich. Und die Stadtteilschulen sind gut ausgestattet, sie haben keine Klasse über 25. Das ist schon eine attraktive Ausstattung.

Das gymnasiale Angebot ist auf jeder Schule zu finden?

Auf jeden Fall. Die Stadteilschulen haben die Aufgabe, mit den Standards der Gymnasien zu arbeiten, wie es jetzt die Gesamtschulen, die eine Oberstufe haben, auch machen.

Trotzdem hört man die Sorge, die Stadtteilschule werde Restschule. Gibt es einen Zielkonflikt? Wir wollen mehr Kinder zu höherer Bildung bringen, das manifestiert sich aus Elternsicht nun mal in der Eintrittskarte fürs Gymnasium. Man braucht andererseits eine starke Stadtteilschule.

Ich sehe keinen Widerspruch. Die Attraktivität der Gesamtschulen hat schon jetzt durch den Druck des verkürzten Abiturs auf den Gymnasien zugenommen. Die HR-Schulen sind inzwischen sehr klein. Und in die Stadtteilschule werden auch Gymnasien einbezogen, die heutigen Aufbaugymnasien.

Aber es gibt nur für Stadtteilschulen es eine Mindestgröße. Müsste man nicht auch zu kleine Gymnasien schließen?

Auch Gymnasien brauchen eine bestimmte Größe, wenn sie eine Oberstufe wollen. Aber schauen Sie auf die Anmeldezahlen, dann sehen Sie, es gibt diese kleinen Gymnasien praktisch nicht mehr. Das ist eine Phantomdiskussion.

Sie erwähnten den Druck des schnellen Abiturs. Wird der nicht stärker, wenn das Gymnasium sechs Jahre dauert?

Im Gegenteil: Ich sehe mehr Chancen. Die Kinder werden in den Klassen vier bis sechs besser begleitet und vorbereitet.

Es gab die Idee, auch Gymnasien könnten einzelne Klassenzüge in 13 Jahren zum Abitur führen. Ist das noch aktuell?

Das ist eine Frage der regionalen Schulkonferenzen. Ich will den Ergebnissen nicht vorgreifen.

Kaum einer redet von den Sonderschulen. In Ihrem Konzept heißt es, Kinder mit Förderbedarf würden integriert, sofern die Voraussetzungen gegeben sind. Das klingt vage.

Hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Gerade Kinder mit anderer Herkunftssprache sind überproportional in den Förderschulen vertreten, das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal. Wir haben Programme in Hamburg, um die Kinder früh vor Ort zu fördern, die wir bündeln und ausbauen werden. Da kommen wir auch gar nicht drum herum, weil das auch von der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen gefordert wird.