Am Anfang war der Bum

Wie die Welt tatsächlich entstand und wie Physiker den Urknall wiederholen

Die Teilchen müssen fast so schnell sein wie das Licht, um den Knalleffekt zu erzielen

Die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen, beschäftigt uns stets aufs Neue. Kleriker und Esoteriker versuchen verführerische Antworten zu geben. Schon das Alte Testament lehrt, die Schaffung der Welt, Mensch inklusive, fand in sieben Tagen statt. So einfach die These „Im Anfang war das Wort“ klingen mag, die Antwort der Physiker ist klar: alles Quark. Eine Woche habe es nicht gedauert, sondern es knallte in einem bombastischen Ur-Bum, denn zu Beginn war nur Energie, so dicht und fast singulär, dass es krachte. Als Licht und Strahlung blitzten und sich aus einer fantasillionen Grad heiß brodelnden, nicht einmal für Allmächtige schlürfbare Ursuppe Zeit, Raum und Masse bildeten, war für lange Zeit kein Wort zu verstehen. Erst als All, Galaxien, Milchstraße, Erde entstanden, Materie zu leben begann und Menschen zu denken, stellte sich mit den ersten Geistesblitzen die Frage nach dem Sinn des Daseins.

Den Sinn führen Forscher bei ihren unzähligen Versuchen, Mini-Urknalle im Labor erneut rumsen zu lassen, auch ins Feld. Dazu werden Wasserstoffatome ihrer Elektronen beraubt und die nackten Kerne, genannt Protonen, in Crashtests auf Ziele geschossen und geguckt, wohin deren Trümmer fliegen. Die Teilchen müssen fast so schnell sein wie das Licht, um den gewünschten Knalleffekt zu erzielen. Deshalb werden sie vor der Kollision mittels gigantischer Teilchenbeschleuniger auf Speed gebracht. All das verschlingt Riesensummen, dass selbst der Unterschied zwischen Euro und Mark in diesen Dimensionen marginal ist. Das physikalische Ergründen des „Woher“ ist also teurer als jedes abgegriffene Exemplar eines Alten Testaments auf antiquarischen Büchertischen. Dass bei der finanziellen Dauerkrise der Wissenschaft Fragen gestellt werden, ob derartige Experimente nicht doch einmal ins Auge gehen, was dann dabei herauskommt und wohin das noch führt, erscheint nur logisch.

Zunächst richtet auch die endgültige Antwort auf das „Wohin“ unser Augenmerk auf den Boden der Tatsachen: in den Tod. Nach wie vor ist dies so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Frage ist nur wann. Den Zeitpunkt bestimmen immer öfter Krebserkrankungen, darunter auch Augentumoren wie das Aderhautmelanom. Dieser häufigste Augentumor gefährdet nicht nur das Sehvermögen, sondern endet in vielen Fällen tödlich, da er nicht operabel ist und übliche Chemotherapien nicht greifen. Also muss der Tumor auf eine andere Art und Weise weg, und das fix, das heißt, im frühen Stadium, mit voller Energie. Und zwar mit einer ähnlich hohen Energie, welche die zum Verballern bestimmten Protonen aus den Beschleunigern ohnehin locker besitzen. Deshalb liegt es nahe, diese in feine Strahlen zu bündeln und auf neue Ziele zu lenken, dorthin, wo sie dringender gebraucht werden, also direkt in den Augenhintergrund, um die dort wütenden Tumoren wegzuhämmern.

Dies funktioniert tatsächlich. Das Aufwändigste daran ist weniger die Bestrahlung, sie dauert lediglich 30 Sekunden, als vielmehr die Ausrichtung der Patienten. Dazu werden sie auf einem elektrisch beweglichen Stuhl festgeschnallt und für den Protonenbeschuss über eine digitale Kimme und Korn auf 0,1 Millimeter vor dem Endstrahlrohr in Position gesetzt. Dabei werden selbst die Augenlider fixiert, um reflexartige Zwinkereien zu verhindern. Eine Narkose ist nicht erforderlich, die Behandlung wird ohne Probleme ertragen. Das Heiße an den schnellen Protonen ist, dass sie umliegendes Gewebe schonen, denn trotz ihrer hohen Energie walten deren Kräfte weder roh noch sinnlos. Nach kurzem, aber gezieltem Eindringen in das Tumorgewebe haben sie ihre zerstörerische Kraft verwirkt, und ihre Energie ist an richtiger Stelle verpufft. Nach nur vier Protonensitzungen innerhalb einer Woche beim Physikmediziner sind die Tumorzellen in 95 Prozent der Fälle erfolgreich zerschossen. Vor allem bleibt die Sehkraft erhalten, und die Patienten können neuen Perspektiven des „Wohin“ gelassen ins Auge sehen. Da behaupte noch jemand, Knaller im Labor trübten den Blick für deren wahren Sinn und führten am Heil vorbei direkt ins Abstrakte oder, noch schlimmer, ins Weltfremde.

THOMAS VILGIS