„Nicht wegen einer Frau! Das ist zu blöde!“

Sartres „Die schmutzigen Hände“ am Neuen Schauspielhaus Bremen: Interview mit Regisseur Wulf Twiehaus über Terrorismus und Liebe

Die schmutzigen Hände“ – ist das nicht ein Stück aus dem vergangenen Jahrhundert, das in der damaligen Zeit wichtig war und heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlockt?

Wulf Twiehaus, Regisseur: Es ist eine Geschichte aus fernen Zeiten. Wir haben heute in unserer Gesellschaft nicht mehr diese tief greifenden Auseinandersetzungen zwischen Kommunismus und Kapitalismus, der politische Mord ist bei uns nicht an der Tagesordnung – da könnte man meinen, auf all dem liegt etwas Staub. So ist es mir beim ersten Wiederlesen auch gegangen. Aber im Kern hat das Stück etwas ungeheuer Aktuelles. Am Anfang sagt Louis: „Terrorismus, das ist vorbei.“

Das ist authentisch Sartre?

Ja. Die Zeiten sind wirklich nicht vorbei.

Aber es geht auch um Liebe bei den „Schmutzigen Händen“.

Liebe ist der andere wesentliche Teil des Stücks. Es ist die Geschichte von Hugo und seiner Frau Jessica. Die beiden sind ein scheinbar harmonisches Paar – doch sie spielen ihre Beziehung und ihre Liebe. Sie haben Formen gefunden, wie sie in verschiedene Rollen schlüpfen, sich gegenseitig herausfordern und dadurch nur anscheinend ein funktionierendes Paar sind. Sie erkennen im Verlauf der Geschichte, dass es nicht wirkliche Liebe ist, was sie beide aneinander hält und dass das, was sie tun, nicht ernsthaft empfunden ist. Und sie begreifen, dass sie die Sehnsucht nach einer größeren Ernsthaftigkeit haben, die vielleicht gar nicht Liebe oder Liebespaar heißen muss, sondern ein anderes gegenseitiges Wahrnehmen bedeutet. Vor allem durch die Konfrontation mit der Realität Hoederers bemerken Jessica und Hugo, dass sie sich etwas vormachen. Bei Sartre heißt es sehr schön, dass sie auch „Küssen“ spielen. Das finde ich, ist ein großes Erkennen.

Warum hat Sartre diese private Geschichte in die politische hineingewebt?

Hugo und Jessica hegen den Wunsch, „jemand zu sein“. Jemand, der wahrgenommen wird, jemand, der ernst genommen wird, jemand, der für etwas einstehen kann. Nicht nur politisch, auch privat. Es geht nicht nur um die Sehnsucht nach einer verantwortungsvollen, politischen Tat. Es geht um die grundsätzliche Entscheidung, handeln zu wollen, Verantwortung zu übernehmen und dadurch jemand zu sein.

Sartre geht es also nicht in erster Linie um das politische Thema: „Kann ein Mord gerechtfertigt sein für eine gute Sache?“, sondern um die Frage: „Wie kommen Menschen zu ihrem Ich?“

Das ist die Grundfrage, die wir in dem Stück gefunden haben. Das politische Engagement ist nur der Motor für das Bedürfnis, ein ernsthafter Jemand zu sein.

Das wäre die existenzialistische Fragestellung an den Menschen?

Diese Frage macht den Existenzialismus in dem Stück dann wirklich aus. Wir sehen das in der Entwicklung der Figur Hugo, der über den Mord an Hoederer „jemand werden will“. Doch je besser Hugo den Hoederer, den er ermorden soll und will, kennen lernt, desto unmöglicher wird es für ihn, ihn umzubringen. Hugo erlebt in Hoederer jemanden, der hohe moralische Wertvorstellungen hat und von dem er sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich respektiert und ernst genommen fühlt. Und als Hoederer begreift, dass Hugo ihn töten soll, erklärt er ihm, dass er auch ohne den Mord „jemand ist“. Hugo ist kurz davor, darauf einzugehen, doch dann überrascht er Hoederer mit seiner Frau und die Enttäuschung darüber, dass jemand, der so hohe Ideale hat wie Hoederer, dann so etwas Schlichtes, Niedriges tut, das begründet dann den Mord – als Eifersuchtsmord. Läppisch privat, überhaupt nicht mehr auf der moralischen Höhe, auf der anfangs das Thema des politischen Mordes erörtert wird. Der letzte Satz von Hoederer ist daher: „Mach keine Dummheiten. Nicht wegen einer Frau! Das ist zu blöde!“ Ein wunderschöner letzter Satz.

Beim Theater weicht die Inszenierung oft deutlich ab von der Vorlage. Haben sie sich die Freiheit genommen?

Wir bleiben sehr nah an dem, was Sartre geschrieben hat und somit auch sehr nah an seinen Figuren. Denn das, was die Figuren vom Leben wollen, wonach sie streben, ist sehr „heutig“, obwohl die Zeit, in der sie leben, eine andere ist.

Was ist so aktuell an dem Stück?

Das Heutige ist die Sehnsucht, nicht „berufsjugendlich“ sein Leben zu verspielen. Die Sehnsucht, nicht nur mit Ironie und Distanz an die Dinge heranzugehen und abzuwägen, sondern wirklich für etwas einzustehen. Es ist daher auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden, vom Finden eines Standpunktes, den man leben kann.

Das Stück macht einen Kunstgriff, indem die Geschichte mit einer Rahmenhandlung erzählt wird. Auch unsere Inszenierung beginnt mit dieser Rahmenhandlung, in die wir mit zeitgenössischen Figuren in heutigen Kostümen einsteigen und dann mit erzählerischen und stilistischen Mitteln des „film noir“ in die eigentliche Geschichte übergehen. Damit gleiten wir langsam in die 40-er Jahre zurück, in denen das Stück spielt.

„Berufsjugendlich“ – was bedeutet das? Die Vorstellung, dass man sich durch eine Tat in die Erwachsenen-Wirklichkeit hineinbomben kann, ist doch auch eine infantile.

Natürlich – die wird in dem Stück aber demontiert. In den „Schmutzigen Händen“ gibt es eine Gegenfigur zu dem jungen, bedingungslosen Hugo, die des Hoederer. Jemand, der in der Erwachsenenwelt schon lange angekommen ist. Hoederer kennt den Kompromiss – er sagt zwar, er habe prinzipiell keine Einwände gegen politisch motivierten Mord, aber er verhandelt konkret-realpolitisch und lässt sich daher auf Kompromisse ein. Es geht ihm darum, Menschenleben zu retten, auch mit politischen Gegnern auszukommen und es geht ihm um die Liebe zu den Menschen. Das heißt, das Stück demontiert dieses Kindlich-Radikale, das in der Vorstellung zusammengefasst ist: Ich stelle mich mit einer Bombe irgendwo hin, dann wird die Welt besser.

Können junge Muslime mit dem Stück etwas anfangen für ihre Welt?

Ich hoffe das sehr. Es geht um die Sehnsucht, durch ein Attentat etwas zu verändern und gleichzeitig dem eigenen Leben einen Sinn zu geben. Diese Sehnsucht verfolgt Hugo, die zentrale Figur des Stücks. Warum er es dann nicht kann, ist die Geschichte der „Schmutzigen Hände“. Denn mit Hoederer steht Hugo ein wirklicher Mensch gegenüber, der ihn ernst nimmt und sich nicht mehr als Feind darstellt – dadurch wird die Tat obsolet.

Heute finden bei den politischen Morden vorher keine langen Dialoge statt. Diese Chance haben die Attentäter nicht, ihre Opfer vorher kennen zu lernen. Das wäre der Unterschied?

Das wäre der wesentliche Unterschied – miteinander in den Dialog zu treten. Das ernst zu nehmen, was die Attentäter möchten. Zumindest ihre Motive. Das heißt nicht, dass man sich einigen muss, aber man sollte sich den Motiven stellen und sie ernst nehmen.

Sie sind Regisseur - seit wann?

Meinen Diplomstempel habe ich seit 2001.

Und dieses Sartre-Stück machen Sie zum ersten Mal?

Ja. Aber ich habe in Aachen ein thematisch ähnliches Stück inszeniert: „Die Gerechten“ von Albert Camus. Sartre beschäftigt mich aber schon länger. Vor allem das Stück „Das Spiel ist aus“ würde ich gern mal inszenieren.

Sie sind frei umherreisender Regisseur, der mal hier, mal da in Angebot bekommt?

Das war ich lange Zeit, jetzt bin ich Oberspielleiter am Stadttheater Konstanz und mache dort drei Inszenierungen in der Spielzeit und eine auswärts – das ist diesmal in Bremen.

Was ist das Faszinierende an Konstanz - außer dass Konstanz Sie haben wollte?

Ich hatte die Sehnsucht nach einem „theatralen Hafen“, einem Ort, an dem man längerfristig mit Leuten zusammenarbeitet und gemeinsam etwas aufbauen kann.

Auch wenn die Bühne etwas kleiner ist?

Ja. Es gehört zu den zehn am schlechtesten subventionierten Häusern der Republik.

Noch schlechter als Bremen?

Es herrscht Krieg: Das fiktive Land Illyrien mitten im Zweiten Weltkrieg, besetzt von den Deutschen, bedroht vom Einmarsch der Russen. Darin der junge, intellektuelle Hugo, der sich der proletarischen Partei anschließt, um mit seiner verhassten bürgerlichen Herkunft zu brechen. Er hungert danach, für die Partei eine „Tat“ zu begehen und somit beweisen zu können, dass er auf der richtigen Seite steht. Schließlich bekommt er den ersehnten Auftrag: Er soll jemanden aus den eigenen Reihen erschießen, den Parteifunktionär Hoederer. Denn Hoederer wird verdächtigt, mit den politischen Gegnern zu kooperieren – angeblich um des Friedens Willen. Gemeinsam mit seiner Frau Jessica wird Hugo als Sekretär bei Hoederer eingeschleust. Und schneller als geahnt bieten sich Gelegenheiten zum geforderten Schuss - doch von Hemmungen geplagt und von Hoederer fasziniert schiebt Hugo den Mord mehr und mehr hinaus. Bis er plötzlich Jessica in Hoederers Armen findet. Die Situation hat sich gedreht: Eifersucht oder politischer Akt?

Das Sartre-Stück wird im Neuen Schauspielhaus aufgeführt

am 21. / 22. / 27. / 28. Februar 2009, am 1. / 6. / 7. / 11. / 13. / 15. / 19. März 2009,

am 3. / 9. / 11. / 17. / 30. April und am 9. Mai 2009

Definitiv. Obwohl die Gegend um Konstanz reich ist. Das Stadttheater Konstanz ist ein kleines Haus, ein reines Schauspielhaus mit 100 Mitarbeitern. Das heißt: Kurze Wege, aber auch nur wenig Möglichkeit zu delegieren.

Was ist das Schöne an Bremen?

Es ist immer spannend, ein neues Ensemble kennen zu lernen. Besonders ein so gutes wie das am Schauspiel Bremen. Und ich kann hier auf einen gut funktionierenden Theaterapparat zurückgreifen. Außerdem habe ich im Gegensatz zur Arbeit in Konstanz hier mit der Organisation wenig zu tun, das ist für die künstlerische Arbeit gut und wichtig.

Wissen Sie schon, was Sie in der nächsten Spielzeit auswärts machen?

Das darf ich leider noch nicht sagen.

Sie haben hier bisher im Theater gelebt und werden die Bremer kennen lernen, wenn Sie zu Ihnen in das Stück kommen?

Die, die am Theater sind – ja. Das Theater liegt ja an einer Straße, die man für Erledigungen zwischen den Proben kaum verlassen muss. Daher habe ich von der Stadt Bremen leider wenig mitbekommen in den letzten Wochen.

Ist das Stück auch unterhaltsam?

Theater muss unterhaltsam sein. Und für mich ist es unterhaltsam, zum Denken und Mitfühlen herausgefordert zu werden. Aber daneben ist das Stück erstaunlicherweise zwischendurch sogar richtig lustig.

Wie lange wird das Stück zu sehen sein?

Erst einmal bis Ende Mai - dann werden wir sehen.