Greifbare Entschlossenheit

Der neue Dokumentarfilm „Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose“ von Katrin Seybold erzählt eindrucksvoll vom Widerstand gegen das NS-Regime

Ein wenig Unbedarftheit sei dabei gewesen, erzählt Lilo Hein aufgewühlt am Donnerstag Abend im fsk-Kino am Oranienplatz. Durch Gespräche mit Gleichgesinnten gewann sie die Entschlossenheit, sich dem Widerstand gegen das NS-Regime anzuschließen. Frau Hein war Angeklagte im 5. Prozess gegen die Mitglieder der Weißen Rose um Hans und Sophie Scholl in der Spätphase des 2. Weltkriegs. Die Filmemacherin Katrin Seybold lud sie zur Berlin-Premiere ihres Dokumentarfilms „Die Widerständigen“ nach Kreuzberg ein, der von den Geschehnissen rund um die Gruppe erzählt.

Der Film erzählt zunächst von den letzten Stunden der Geschwister Scholl, die direkt nach der Urteilsverkündigung am 22. 2. 1943 hingerichtet wurden. Ausführlich werden Zeitzeugen, Angehörige und enge Freunde aus dem Widerstandskreis der Weißen Rose vorgestellt und befragt, aktive „Mittäter“ oder zumindest Eingeweihte.

Regisseurin Seybold lässt sie sprechen, sehr sachlich, in einfachen Einstellungen. Keine atmosphärisch drapierten Hintergründe, keine aufwendige Beleuchtung, keine Musik, einfach nur Menschen. Trotzdem ist man nach wenigen Einstellungen völlig gebannt und mittendrin in der Geschichte.

Die engagierten Schilderungen werden illustriert durch eine Fülle von Fotos und Originalaufnahmen aus der erzählten Zeit. Viele Aufnahmen sind sehr privat, vermitteln einen Eindruck von Intimität. Sie werden unter den Redefluss gelegt und bebildern Worte, die nie abreißen. Eine Interviewpassage ist an die nächste geschnitten. So entsteht ein dichter Sog aus Schilderungen, der die Betrachter sofort gefangen nimmt.

Er macht die Entschlossenheit der damals Beteiligten greifbar. Tatsächlich geht es nämlich um mehr, als noch einmal die Geschichte von Hans und Sophie Scholl zu erzählen. Sie waren nicht allein in ihrer Auflehnung. Deshalb erzählen weitaus weniger bekannte Widerständler hier ihre eigenen Geschichten, ihre eigenen Erfahrungen und Beweggründe. Warum sie sich darauf eingelassen haben, obwohl sie sich jederzeit über die Gefahr der Todesstrafe bewusst waren. Wie beeindruckend es war, dass sich jemand zu formulieren traute, was auf den Flugblättern der Weißen Rose geschrieben stand.

So entsteht ein lebendiges, vielschichtiges und vor allem ermutigendes Bild der Ereignisse. Es macht nachvollziehbar, wie man den Mut fasst, für etwas einzutreten und dafür alles zu riskieren. Und es lässt den heutigen Heldengesang auf Stauffenberg alt aussehen.

Katrin Seybold hat rund zehn Jahre an dem Film gearbeitet. Einige der Beteiligten sind inzwischen verstorben. Sie hat so einen Schatz gerettet, der beinahe verloren gegangen wäre. Die Intensität der Schilderung lässt ahnen, dass es auch für die Sprechenden an der Zeit war, endlich einmal alles zu erzählen. Die einzige Frage, die am Ende übrig bleibt: Warum erst jetzt?

„Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose“, Regie: Katrin Seybold. Deutschland 2008, 92 Min. Kinos: fsk und in der Brotfabrik