Wahlverwandtschaften nachspüren

Die Künste in Beziehung setzen: Gespräch mit Markus Fein, dem Leiter der Sommerlichen Musiktage im niedersächsischen Hitzacker

2001 übernahm Dr. Markus Fein die künstlerische Leitung der Sommerlichen Musiktage Hitzacker. Für das diesjährige Programm konnte der Musikwissenschaftler unlängst den Ernst-Siemens-Preis 2004 entgegennehmen. Nach Tätigkeiten unter anderem als freier Dramaturg und Kurator leitet Fein auch die neue „Kammermusik-Offensive“ der Hamburger Musikhalle.

taz: Herr Fein, seit Sie die Musiktage übernommen haben, sind diese zu einem profilstarken Festival geworden: Klug zusammengestellte Programme verbreiten nicht nur Lust am Hören, sondern bieten dazu intellektuelle Herausforderung.

Fein: Diese sinnstiftende Programmdramaturgie liegt mir am Herzen. Und ich finde, dass der Konzertbesucher ein Recht auf liebevoll gestaltete Programme hat ... Es sollen Programme sein, die zu Entdeckungen anregen. Wir kombinieren in diesem Jahr innerhalb einer Matineeveranstaltung Glossen und Parodien aus der Feder von Umberto Eco mit der Musik von Luciano Berio; am 5. August verbinden wir Madrigale der Renaissance mit dem Streichquartett von Luigi Nono – diese Programmidee hat uns den Förderpreis der Siemens-Musikstiftung eingebracht. Uns hat das gefreut.

Uns auch – Glückwunsch! Hitzacker hat bereits vor ihrer Zeit, als es andernorts noch nicht selbstverständlich war, Hauskomponisten neudeutsch „composer in residence“ benannt. Warum ist dieses Jahr kein Komponist die ganze Zeit in Hitzacker?

Es war ursprünglich anders geplant. Die Nachricht vom Tod Luciano Berios im letzten Sommer hat uns alle sehr getroffen. So wurde aus dem längst konzipierten Komponistenporträt eine Konzertreihe „in memoriam“. Der Konzertbesucher hat in Hitzacker die Möglichkeit, das Werk des großen italienischen Komponisten der Moderne in spannenden Gegenüberstellungen kennen zu lernen. Berio war ein großer Kenner und Verehrer der Musik von Schubert und Monteverdi. Diesen Wahlverwandtschaften spüren wir nach.

Daneben haben Sie als Motto der diesjährigen Veranstaltungsreihe „Italienische Reisen“ gewählt. Welche konzeptionelle Überlegungen stehen dahinter?

Vielleicht sind die Sommerlichen Musiktage Hitzacker in diesem Jahr so abwechslungsreich wie noch nie zuvor: Joachim C. Fest liest aus seinem Reisebericht Im Gegenlicht, im Anschluss an Cimarosas humorvolle Buffo-Szene „Il Maestro di Capella“ zeigen wir Filme über Orchesterproben von Karl Valentin und Federico Fellini; beim NDR haben wir ein „Hörspiel Live“ in Auftrag gegeben. All das fügt sich – hoffentlich – zu einem Fest der Sinne, das die Künste in Beziehung zueinander setzt.

Das war zwar jetzt keine rechte Antwort auf meine Frage, aber lassen wir das mal so stehen. Bekannt ist Hitzacker für die Begleitprogramme zu den Konzerten. Dieses Jahr wird Reinhold Brinkmann, Professor der Musikwissenschaften an der Harvard University, einen Vortrag innerhalb der „Hörer-Akademie“ halten.

Ja, ich freue mich sehr, dass er zugesagt hat. Reinhold Brinkmann ist der Widmungsträger der großen Klaviersonate von Luciano Berio. Er selbst hat übrigens seinerzeit Berio zu den so genannten „Harvard Lectures“ in die Vereinigten Staaten eingeladen und war eng mit ihm befreundet. Als der italienische Pianist Andrea Lucchesini zusagte und ich die Brinkmann gewidmete Klaviersonate auf das Programm nehmen konnte, telefonierte ich tags darauf in die Staaten, um Brinkmann zu einem Vortrag über die Klaviersonate einzuladen – mit seiner Zusage geht ein kleiner Traum für mich in Erfüllung.

Werden seine Ausführungen für den normalen Festival-Besucher verständlich sein?

Da habe ich keine Sorge. Brinkmann ist ein charismatischer Rhetoriker, den ich öfters als brillanten Redner erlebt habe. Die Hörer-Akademie will ja gerade nicht akademisch sein; sie gibt Werkstatteinblicke, bietet Komponistengespräche an – und ist dabei immer nah dran an der Musik.

In Hitzacker sind mehr jüngere Menschen im Publikum zu finden als andernorts bei Kammermusikkonzerten. Wie schaffen Sie das?

Ich freue mich, dass sich in der Tat immer mehr junge Konzertbesucher nach Hitzacker wagen. Vielleicht ist es uns gelungen, da einen Teufelskreislauf zu durchbrechen: Wenn nur ältere Semester zu sehen sind, kommen keine jungen Menschen. Mit dem Festival-Fellow-Programm, das musikbegeisterte Menschen im Alter zwischen 17 und 21 Jahren aus ganz Deutschland einlädt, haben wir für neue und jüngere Gesichter gesorgt. Das zieht Kreise.

Es kommt hinzu: In diesem Jahr präsentieren Studierende der Universität Lüneburg eine Sonderausstellung zum Thema „Italienische Reisen“; eine Kooperation von Festival und Universität und ein besonders schöner Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis. Von diesem Projekt werden wieder zahlreiche neue, junge Impulse ausgehen. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass ich keinem Jugendwahn verfallen bin. Mir ist es wichtig, Hitzacker als quicklebendigen, inspirierenden Ort der Begegnung zu etablieren – eine Frage der Haltung, nicht des Alters.

Wenn das Festival-Fellow-Programm erfolgreich funktioniert und Fellows von einst weiterhin zu den Sommerlichen Musiktagen kommen, könnte Hitzacker eines der wenigen Festivals ohne Publikumskrise werden. Wichtig wäre dazu aber auch, dass sich die einheimische Bevölkerung verstärkt mit dem Festival identifiziert.

Wir machen auch und immer mehr Programm für die Region. In diesem Jahr spielt das Ensemble Quadro Nuevo italienischen Tango und Filmmusik – nach dem Konzert zeigen wir Fellinis Filmklassiker La Strada; ein „Festival-Walk“ wird 2005 Besucher, Organisatoren und Musiker bei einem gemeinsam literarischen Spaziergang zusammenführen.

Und das soll dann also in besonderem Maße die Einheimischen ansprechen ...

Das erwarten wir sehr wohl. Und wenn wir dann auch verstärkt mit Veranstaltungen im Ortskern von Hitzacker präsent sein werden, also nicht mehr nur im Kurhaus und gelegentlich einmal in der zentral gelegenen Kirche, wird bald ganz Hitzacker ein einziges Festivalzentrum sein. Daran arbeiten wir.Interview: Reinald Hanke

59. Sommerliche Musiktage Hitzacker, 31. Juli bis 8. August; www.musiktage-hitzacker.de