„International sind die arabischen Staaten bedeutungslos“, sagt Mustapha Ben Jaafar

Der Nahe Osten hätte politisch mehr Gewicht, würde er demokratisiert. Europa könnte dabei sehr hilfreich sein

taz: Die USA möchten mit ihrer „Greater Middle East“-Initiative die Demokratisierung der arabischen Welt födern. Sehen Sie darin eine Unterstützung?

Mustapha Ben Jaafar: Für die Demokraten in der arabischen Welt kommt dieses Projekt zu einem sehr schwierigen Zeitpunkt. Zwar enthält es wohl großzügige Ideen von Reformen und der Demokratisierung der Institutionen der Regime. Schließlich sind die Regime heute autoritär und erstarrt – und weigern sich, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Gleichzeitig handelt es sich aber um ein Projekt, das aus den USA kommt. Und die haben bekanntermaßen derzeit einen sehr schlechten Ruf in der arabischen Welt.

Wegen ihrer Politik im Irak?

Einerseits. Immerhin haben sie dieses souveräne arabische Land angegriffen. Das hat den USA geschadet, obwohl auch wir die Politik von Saddam Hussein verurteilt haben. Andererseits sehen wir, dass die USA systematisch die Politik des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon unterstützen. Die arabischen Eliten und die Bevölkerung beobachten daher alles, was aus den USA kommt, mit einem besonderen Misstrauen.

Auf dem G-8-Gipfel wurde das Projekt in einer etwas modifizierten Form übernommen. Hat es nun größere Chancen?

Die Tatsache, dass es sich jetzt nicht mehr nur um ein Projekt der USA handelt, führt zu einem gewissen Ausgleich. Die Europäer haben mehr Erfahrungen mit solchen Projekten, wie man in den letzten zwanzig Jahren gesehen hat. In Staaten wie Spanien oder Portugal, die unter Diktaturen gelebt haben, und in den osteuropäischen Gesellschaften nach 1989 gab es eine Entwicklung hin zu Demokratie und einer Verbesserung des Lebensstandards. Daher haben wir etwas mehr Hoffnung, dass diese Europäer mit den politisch unterentwickelten Ländern eine Lösung finden, die deren Realität angemessen ist. Das heißt nicht, dass man die Haltung der arabischen Staatschefs übernimmt, die Reformen dem Rhythmus der Gesellschaften und ihrer kulturellen Besonderheiten unterwerfen wollen. Dieses Argument wird lediglich benutzt, um Reformen zu verhindern oder sie so weit wie möglich aufzuschieben.

Ist der Reformdruck von innen größer als der von außen?

Reformen werden seit einer Weile vor allem aus dem Inneren der Gesellschaften gefordert. In den meisten arabischen Staaten kämpfen und leiden die Aktivisten seit mittlerweile zwanzig oder dreißig Jahren und zahlen teilweise den höchsten Preis für ihren Einsatz für Freiheit und Demokratie. Deshalb sollte man uns nicht fragen, ob wir Demokratie wollen.

Dieses Drängen nach Demokratie von innen ist bemerkenswert. Aber wäre eine größere Unterstützung der westlichen Demokratie nicht hilfreich?

Da gibt es zweifellos Anlass zu Kritik, denn hinsichtlich der Zukunft ist im Westen viel von Stabilität die Rede, aber leider auf der Ebene der Regimes. Die Sicherheit, die sie bieten, ist aber brutal und basiert auf der Unterdrückung der Bevölkerung. Letztendlich arrangieren sich die Regierungen, auch die europäischen, gut damit, selbst wenn sie gegenüber der Bevölkerung des Südens mit Nachteilen verbunden ist.

Was halten Sie von dem Argument, bei freien Wahlen könnten islamistische Parteien die stärkste Fraktion werden oder gar an die Regierung kommen?

Dieses Argument wird immer von den Regierungen benutzt, die seit Jahrzehnten jede Art von Reformen verhindert haben. Daher hat es kein Gewicht. Auch bei Wahlen in Europa gibt es Richtungsänderungen, Parteien, die über die Mehrheit verfügten, sind in der Minderheit und umgekehrt. Das ist das Spiel des Wechsels in einer Demokratie.

Wie pluralistisch ist der Islam?

In Algerien waren die Islamisten gewaltsam und sind es zum Teil noch, in Tunesien war der Islamismus nie gewaltsam. Die Attentäter von Djerba sind aus dem Ausland gekommen. Mir geht es nicht darum, herunterzuspielen, welche reelle Gefahr von einer islamistischen Bewegung ausgehen kann. Aber auch in demokratischen Ländern kann es zu einer Form des Extremismus kommen. Doch wenn es eine gewaltsame Entgleisung gibt, ist es der Rechtsstaat, der interveniert, unter Respektierung der Rechte der Verteidigung und der Angeklagten. Wir möchten unsere Probleme auch unter der Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte lösen.

Generell gelten ja der Palästina-Konflikt und die Lage im Irak als Hindernisse für Reformen im Nahen Osten. Wie kann angesichts dessen die Stabilität, die der Westen legitimerweise wünscht, erreicht werden?

Irak und Palästina sind weniger Hindernisse für Reformen als für den Dialog zwischen Nord und Süd. Irak und Palästina werden aber auch von arabischen Regierungen als Argument genutzt, nach dem Motto, wir sind so solidarisch mit den Palästinensern und Irakern, dass Reformen nicht möglich sind, solange diese Konflikte nicht gelöst sind. Doch eine Demokratisierung würde den arabischen Staaten mehr Gewicht geben. Auf internationaler Ebene sind sie heute völlig unbedeutend. Wie soll man auch seine Stimme wiederfinden, die in der Welt gehört wird, wenn es keine repräsentative Gesellschaft gibt, die stolz auf ihre Bürgerrechte ist?INTERVIEW: BEATE SEEL