Gerhard Schröder will nicht ewig bleiben

Der Kanzler will nichts über eine Kandidatur für 2006 sagen. Er lässt die SPD lieber über ihr Programm diskutieren

BERLIN taz ■ Die SPD hat ihrer seit vier Wochen andauernden Debatte über ihre programmatische Zukunft eine neue, pikante Note gegeben. Plötzlich steht die Frage im Mittelpunkt, wer denn die kraftlose Partei 2006 eigentlich zu einem Wahlsieg führen kann und soll, was vielleicht Rückschlüsse darauf zulässt, wann der demokratische Sozialismus, über den die SPD gerade diskutiert, denn in Kraft treten könnte. Am gestrigen Montag sah sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) genötigt, auf die Frage nach dem Kanzlerkandidaten eine Antwort zu geben. „Jetzt ist nicht die Zeit für solche Debatten“, sagte Schröder. Diese Entscheidung werde er zum gegebenen Zeitpunkt treffen. Auf die Zusatzfrage, wie lange er noch Regierungschef bleiben wolle, fügte Schröder für lesende Freunde der Bild-Zeitung hinzu: „Ewig gewiss nicht.“

Die Bild-Zeitung hatte am Montag in ihrer Schlagzeile gefragt: „Will uns Schröder ewig regieren?“. Die Steilvorlage dafür hatten SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und Generalsekretär Olaf Scholz am Wochenende gegeben. In Interviews hatten sie auf entsprechende Fragen geantwortet, dass Schröder bei der nächsten Bundestagswahl 2006 als Kanzlerkandidat der SPD ins Rennen gehen werde. „Davon gehe ich aus“, sagte Müntefering. „Daran glaube ich ganz fest“, sagte Scholz. Mit Schröder abgesprochen waren diese Äußerungen nicht. Sie seien aber die „Antworten, die wir auf diese Fragen zu geben pflegen“, sagte Scholz am Montag nach der SPD-Vorstandssitzung. Debatten gab es im Bundesvorstand zu dieser Frage keine.

Dafür wurde Scholz vom Parteilinken Hermann Scheer für seine programmatischen Äußerungen über die Zukunft des demokratischen Sozialismus und die soziale Gerechtigkeit kritisiert. Scheer erinnerte daran, dass 1976 der damalige CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf gesagt habe, die SPD trete für soziale Gerechtigkeit als Ergebnis ihrer Politik ein, die CDU hingegen für eine Gerechtigkeit der sozialen Chancen für alle. Im Wahlkampf 1976 führte das unter dem CDU-Kanzlerkandidaten Helmut Kohl zu der zentralen Losung „Freiheit oder Sozialismus“. Wenn Scholz heute argumentiere, so Scheer, für die SPD sei soziale Gerechtigkeit keine Verteilungsgerechtigkeit mehr, sondern eine Gerechtigkeit der Teilhabe, zum Beispiel an Bildung, dann denunziere der SPD-Generalsekretär nicht nur die bisherige Politik der SPD. Er rechtfertige im Nachhinein auch die Argumente der CDU.

Der Kanzler soll Scheers Ausführungen mit Vergnügen zugehört haben, wird berichtet. Ansonsten ließ Schröder in der kurzen Diskussion nur vernehmen, er wünsche sich darüber eine Debatte auf dem SPD-Parteitag im November. Einige Vorstandsmitglieder deuteten das als Hinweis, man solle die Debatte also nicht jetzt führen. Mit diesem Argument hatte bereits Müntefering Kritik an Scholz geübt. Der Generalsekretär wies diese Vorwürfe zurück. Er bemängelte, dass die Debatte nur mit Schlagworten geführt werde. Man solle sich doch auf „Aussagen beziehen, die wirklich gefallen sind“.

JENS KÖNIG

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