Linke laufen in die Irre

Noch vor der Gründung eines Landesverbandes droht der linken Wahlalternative in Berlin bereits die Spaltung. Der Bundesvorstand möchte mit dem Volksbegehren gegen den Senat nichts zu tun haben

VON FELIX LEE

Es gibt ihn im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein. Ausgerechnet in der Hauptstadt fehlt er: der Landesverband des bundesweiten Vereins „Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ (Wasg). Nun droht – wenn nicht das Aus, so doch eine Spaltung des Berliner Ablegers im Vorstadium. Denn das Gros der Berliner Aktivisten fühlt sich vom Bundesvorstand bevormundet.

Der Bundesvorstand will den Fokus seiner Arbeit allein auf die Bundestagswahlen 2006 legen. Die meisten Berliner Anhänger wollen aber auch gegen den rot-roten Senat wettern. Auf einer ihrer Regionalversammlungen im Juni hatten sie mit großer Mehrheit beschlossen, bis Ende August eine konstituierende Sitzung des Landesverbands einzuberufen, auf der dann auch ein Landesvorstand gewählt werden sollte. Doch der Bundesvorstand erkannte diesen Beschluss nicht an. Es gebe dafür „überhaupt keine demokratische Legitimation“, begründet Helge Meves, als Berliner Vertreter im Bundesvorstand, die ablehnende Haltung. „Auf diesen Versammlungen kann jeder kommen und gehen, wie er will.“ Der Bundesvorstand möchte erst im Oktober den Landesverband konstituieren.

Hintergrund des Streits ist vor allem der Umgang mit dem „Volksbegehren Soziales Berlin“, das die vorzeitige Abwahl des Senats zum Ziel hat. Obwohl die Initiative nach eigenen Angaben in knapp zwei Monaten bereits 18.500 Unterschriften gesammelt hat, ist der Bundesvorstand der Wahlalternative auf Distanz gegangen. Das Volksbegehren sei nicht der Berliner Ableger der Wahlalternative, hatte der Schweinfurter IG-Metall-Funktionär Klaus Ernst und geschäftsführendes Bundesvorstandsmitglied der Wahlalternative gesagt. Auch Meves findet das Vorgehen „dilettantisch“ und will nicht, dass die Wahlalternative mit dem Volksbegehren in einen Topf geworfen wird. Ernst habe die Berliner Vertreter sogar aufgefordert, „mindestens bis zur Parteigründung jegliche Landespolitik einzustellen“. Das ist aber kaum möglich. Denn Personen wie Birger Scholz, Werner Hallbauer und Michael Prütz, die hier am Aufbau der Wahlalternative beteiligt sind, sind die Hauptinitiatoren des Volksbegehrens.

Der Bundesvorstand aber bleibt stur. Bei einer Klausurtagung in der bayerischen Stadt Fürth beschloss er, für Berlin einen kommissarischen Landesleiter einzusetzen: den Berliner-Bezirksvorsitzenden der IG Bau, Lothar Nätebusch. Der hat in der Berliner Regionalgruppe bisher gar nicht mitgearbeitet.

Nun kochen die Berliner Aktivisten vor Wut. Denn der vorgeschlagene Übergangsvorstand, in dem mit Birger Scholz auch einer von ihnen vertreten gewesen wäre, wurde abgelehnt. Sie fühlen sich an die autoritäre Praxis etablierter Parteien erinnert, aus denen viele von ihnen unter anderem deswegen ausgetreten waren. Eine „Aufbaustrategie von oben nach unten“ werde nicht nur bei den derzeit Aktiven für großen Unmut sorgen, sondern die Wahlalternative insgesamt bei potenziellen Unterstützern diskreditieren, warnt Martin Reeh, Mitbegründer der Berliner Wahlalternative. Die ablehnende Haltung gegenüber der Landespolitik erklärt sich Reeh damit, dass führende Vertreter des Bundesvorstands die Option mit der PDS offen halten wollen. Ein Landesverband Berlin, der sich explizit gegen neoliberale PDS-Politik ausspreche, störe bei diesen „Planspielen“.

Nach einer gemeinsamen Sitzung wollen die Streitparteien heute verkünden, ob sie sich spalten, bevor sie überhaupt richtig gestartet sind. Gestern zeigte sich Reeh noch optimistisch: Streitereien gehörten zum Gründungsprozess einfach dazu.