Am Ende Schweigen

Nach über 30 Jahren liefert Ingmar Bergman mit „Sarabande“ die Fortsetzung von „Szenen einer Ehe“: „Sarabande“, 23.00 Uhr, ZDF

VON CHRISTIAN BUSS

Angst schweißt die Menschen zusammen, Angst treibt sie auch wieder auseinander. So steht Johan (Erland Josephson) irgendwann mit traurig flatterndem Hemdchen vor dem Bett seiner Exfrau Marianne (Liv Ullman) und fleht um ein wenig Nähe, damit er die Nacht überstehe. Man könnte diese Szene beinahe für ein Happy End halten. Schließlich handelt es sich bei den alten Herrschaften, die hier in rührender Eintracht ihre Nachthemden von den welken Körpern streifen, um die gleichen Protagonisten, die man aus „Szenen einer Ehe“ kennt – jenem Scheidungsdrama, das Anfang der Siebziger einen TV-Skandal verursachte und die Eheberatung auch außerhalb Schwedens als Berufsstand etablierte. In „Szenen einer Ehe“ war das Bett noch der Ort größtmöglicher Anfeindung. So wirkt es nun eben fast versöhnlich, wenn sich die Charaktere gegen Ende der Fortsetzung an diesem Ort Trost spenden. Der Trost jedoch, er ist nur temporär. Im Epilog wendet sich Marianne an die Zuschauer und erklärt, dass sie mit ihrem Exmann nach der Nacht zwar noch telefoniert, dann aber nichts mehr von ihm gehört habe.

Ingmar Bergman ist also nicht zu seinen Exeheleuten zurückgekehrt, um mit ihnen Versöhnung zu feiern. Hier wird nichts gerade gerückt, nichts wegdiskutiert. Bergman ist inzwischen 86 Jahre alt und offensichtlich noch immer dermaßen mit den Widersprüchen und der Unzulänglichkeit des menschlichen Gefühlshaushalts beschäftigt, dass er mit keinem seiner vielen angekündigten Abschiede seit dem Mammut-Melodram „Fanny und Alexander“ von 1982 wirklich ernst machen konnte. Wie sollte das Aufhören auch gehen, wenn man die Seele als unendliches Forschungsfeld begreift? Denn so schonungslos Bergmans Psychoanalyse stets im Detail war – er hat doch nie den Menschen als Ganzes aufzuschlüsseln versucht. Bei all den brutalen Betrachtungen blieb immer noch ein letzter Funke Respekt vor der Unübersichtlichkeit des menschlichen Innenlebens. Ein Restgeheimnis, dessen Ergründung es lohnt, am Leben zu bleiben. Zugegeben, ansonsten finden sich in Bergmans Filmen recht wenig Argumente gegen den Suizid.

Da bildet „Sarabande“ keine Ausnahme. Aber indem der Regisseur die Partner von ehedem in eine neue Konstellation rückt, gewinnt er den Figuren neue Facetten ab: Marianne besucht nach Jahren den Exgatten in dessen Sommerhaus. Ebenfalls anwesend sind Johans Sohn aus erster Ehe, Henrik (Börje Ahlstedt) und dessen 19-jährige Tochter Karin (Julia Dufvenius). Eine Zusammenrottung, die wohl Familie genannt werden muss. Während Marianne ihren Eierstöcken und ihrer Gebärmutter nachtrauert und Johan an sich selbst eine „gigantische mentale Totaldiarrhö“ diagnostiziert, hausen Henrik und Karin in einer inzestuösen Beziehung im Gartenhäuschen. In zehn Einzelgesprächen werden die krankhaften Verstrickungen zwischen den vier aufgeschlüsselt.

Methodik und Motive sind größtenteils bekannt: Der gute alte protestantische Schuldkomplex, wie ihn Bergman schon in „Licht im Winter“ beleuchtete, spielt in dem mit Bach-Sonaten akzentuierten Konversationsstück ebenso eine Rolle wie jene Techniken des Erinnerns, die in „Wilde Erdbeeren“ einen alten Professor noch mal verdrängte Sehnsüchte durchleben lassen. So ist es bei Bergman ja immer: Alte verstockte Männer entwickeln in Anwesenheit junger Frauen eine ungewohnte Weltoffenheit; zuvor haben sie die eigene Liebesunfähigkeit bereits an die Söhne vermacht. Deshalb schiebt sich in „Sarabande“ bald der Generationskonflikt in den Vordergrund. Während der Patriarch seinem Kind mit Ignoranz begegnet, erdrückt der so gestrafte Sohn die eigene Tochter mit einem pathologischen Nähebedürfnis. Angst, wo man hinschaut. Und Hass scheint das einzige Ventil zu sein, um diese Angst rauszulassen. In einem kurzen Anfall von Verständnis für seinen Sohn erklärt Johan: „Ich respektiere deinen Hass.“ Das ist so ziemlich das Netteste, was er sagt. Dann hören die beiden auf, miteinander zu sprechen. Wenn die Angst ihre Arbeit getan hat, so ist das bei Bergman, bleibt nur noch Schweigen.