Tränen für die Sieger

Die „First Steps Awards“ machen Hoffnung, dass Kreativität im deutschen Film und Fernsehen nicht ganz tot ist – und Gerd Ruge sagt „Ficken“

von STEFFEN GRIMBERG

Was für eine schöne Gala: Freude und Begeisterung in der miesen Kulisse von „Cats“ sind echt. Moderatorin Jessica Schwarz („Jenny Berlin“) ist nervös und verwechselt gekonnt den Spiegel mit TV Spielfilm, ohne dass Stefan Aust sich wehren kann. Buck hält sich nicht ans Reglement, sondern kalauert bei der Laudatio. Und Gerd Ruge sagt auf der Bühne laut und deutlich: „Ficken“. Indizien dafür, dass Kreativität im deutschen Film- und Fernsehen vielleicht doch nicht ganz tot ist.

Nebenan weint ein stolzer Vater leise und ohne Taschentuch: Sein Sohn steht gerade oben im Rampenlicht. Er hat den „First Steps Award“ in der Kategorie „Fiktion bis 60 Minuten“ für seinen Film „Der Typ“ abgekriegt und wird gerade von einem enthusiasmierten Sat.1-Chef Martin Hoffmann gedrängt, noch 20 Minuten drauf zu legen. „Und dann machen wir das in Sat.1“. So muss es laufen beim Nachwuchspreis der deutschen Film- und Fernsehbranche.

Was so viel Grund zur Freude gibt? Zum Beispiel dies: Nachts. Bahnhofsviertel. Ein Rettungswagen im Einsatz. Plötzlich läuft ein Mann auf die Straße, direkt ins Blaulicht. Geht zu Boden. Vollbremsung, Ensetzen. Als sich die Rettungssanitäter über ihn beugen, sagt der Typ lässig: „Könnt ihr mich ein Stück mitnehmen?“ – „Der Typ“ ist die Geschichte einer Nacht, in der der Loser Fabo durch Frankfurt irrt, bevor ihn auf einer Mainbrücke so was wie Erkenntnis überkommt.

Oder dies: Ein Schwanz in Großaufnahme, der gerade gepudert wird. Dreh beim Schwulen-Porno – Lukas Schmidts „Intimitäten“ ist Direct Cinema pur; „intim“ im Wortsinn, inklusive aller Doppeldeutigkeiten. Der eingangs zitierte Gerd Ruge trägt die Laudatio für diesen Film vor.

Gekonnt getäuscht

Oder das: Carla ist 16 und schwanger. Sie will das Kind nicht. Rocko, auch 16 und der Vater, schon: „Wir können doch eine richtige Familie sein.“ Doch wie kann sich Carla sicher sein, bei dem Weichei? Der Test: Rocko soll einen Tag lang ein rohes Ei hüten. – „Weichei“ von Bernd Lange ist in der Kategorie „Kurzfilm“ nur nominiert, aber das macht nichts. Schließlich gelten bei den „First Steps“ schon die Nominierungen als Ritterschlag.

Den Award in der Kategorie Kurzfilm holt sich dagegen Meike Wacha für „Tube Swapper“. Was nach dem gezeigten Ausschnitt erstmal für Unverständnis sorgt: So’n Dokfilmchen über kleine Londoner, die sich im U-Bahn-Netz ein Wettrennen liefern, bei dem es darum geht, so viele U-Bahnlinien wie möglich zu benutzen? Die Auflösung kommt erst bei der Laudatio: Denkste, Dokfilmchen. „Tube Swapper“ mit all seinem Handkameragewackel und „London Underground“-Angestellten, die sich besorgt über den neuen Freizeitsport äußern, ist ein „Docu-Spoof“. Also ein Film, der auf Doku macht, aber gar keine ist. Alles Fiction, nirgends Fact: There is no such thing as „Tube Swapping.“

Und sonst? Dann war da noch die Werbefilm-Kategorie. Mit hübschen Spots, garantiert nicht von den Firmen in Auftrag gegeben, für deren Produkte sie werben. Sieger: „Heiser 1–3“, drei nicht ganz ernst gemeinte Spots für den Turnschuhgiganten Nike bzw. Hertha BSC Berlin von Birgit Möller und Ulrike von Ribbeck. Die man leider nicht erzählen kann, sondern sehen – oder zumindest hören muss.

Und natürlich die Königsdiziplin: der abendfüllende Spielfilm. Auch hier eine kleine Sensation. Es gewinnt „Fremder Freund“, eine der ganz wenigen „freien“ Produktionen. Kein Abschlussfilm einer der sechs Film-Kaderschmieden, die sonst die „First Steps“ dominieren. Elmar Fischer erzählt die Geschichte des 22-jährigen Yunes, der plötzlich aus seiner Berliner Studenten-WG in den Jemen zurückfährt und vorher noch feiert, als ob es kein Morgen gäbe. Dann kommt der 11. September 2001 und seinen Berliner Freunden ein schrecklicher Verdacht. Immerhin dieser Film dürfte es auch ins Fernsehen schaffen: Fischer drehte ihn fürs ZDF.