Die wenig strahlende Hauptstadt

In Nefteyugansk, Sibirien, schuf Yukos Reichtum – allerdings nicht für die Öl-Arbeiter

NEFTEYUGANSK taz ■ Aus der Hüttensiedlung für Ölarbeiter am Fluss Ob ist eine Stadt mit über 100.000 Einwohnern geworden. Der Reichtum Russlands wird hier geschaffen. Nefteyugansk in Sibirien ist Hauptstadt von Yukos, der einst größten und stolzesten Ölgesellschaft des Landes, die heute kurz vor dem Bankrott steht. Denn ihr ehemaliger Chef Michail Chodorkowski ist im Kreml in Ungnade gefallen und steht in Moskau wegen Betrug und Steuerhinterziehung vor Gericht.

In dieser Stadt sucht man den Glanz der Petrodollars vergeblich. „Das Einzige, was uns der Titel Yukos-Hauptstadt eingebracht hat, sind höhere Wohnungspreise“, sagt Sweta kopfschüttelnd. Die junge Frau wohnt mit ihrem Mann und den zwei Kindern in einem windschiefen Holzhäuschen, das außen mit einer schwarzen Plane notdürftig abgedeckt ist, um gegen die arktischen Temperaturen zu schützen, die im rund neun Monate dauernden Winter bis auf minus 50 Grad fallen können. Der zweieinhalbjährige Niko kann mit seinem Dreirad nur zwei, drei Meter fahren: Es ist eng in dem Häuschen, es besteht aus einem kleinen Zimmer, einer schmalen Küche und einem Vorratsraum. Vor dem Haus gibt es einen Quadratmeter Grün, dann beginnt die sandige Straße, um die Ecke eine Müllhalde.

„Spielplätze hat Yukos gebaut“, fällt Sweta ein. „Ganz schöne. Dafür sage ich ihnen wirklich danke! Und der Tag des Ölarbeiters natürlich, am ersten Samstag im September. Das ist ein großes Volksfest.“ Auf einem Spielplatz, mit Grün und Weiß in den Firmenfarben gehalten, hängen drei verwitterte Plakate mit dem Schriftzug „Yukos“. Dieser ist auch am neuen Stadion zu finden und natürlich am Firmensitz mit der weiß glänzenden Fassade, die die benachbarten Gebäude der Stadtverwaltung und der Post wie hässliche Aschenputtel aussehen lässt. Chodorkowski sieht sich selbst gern als spendabler Menschenfreund. Doch in seiner Hauptstadt Nefteyugansk kommt er in dieser Rolle nicht an. „Das ist nur fürs Fernsehen“, winken die Menschen ab.

Nefteyugansk ist ein typisches Produkt der Sowjetzeit. Die Stadt wurde in den 70er-Jahren aus dem Boden gestampft. „Als wir 1971 hier ankamen, gingen wir in Stiefeln. Es gab nichts als Wasser und Dreck. Wir wohnten zuerst im Wohnheim – ein Zimmer, sechs Quadratmeter“, berichtet die 54-jährige Tamara, die gut und gern 15 Jahre älter aussieht, und schiebt eine Haarspange ins graue Haar. „Heute gehen wir in Halbschuhen durch eine schöne Stadt“, sagt sie nicht ohne Stolz. Doch ihre Tochter Tatjana verdreht nur die Augen. „Jetzt ist sie noch zufrieden. Wenn sie erst von ihrer Pension leben muss, weil sie nicht mehr arbeiten kann, wird es anders aussehen“, ist sie sicher. Gut 65 Euro wird ihre Mutter dann im Monat bekommen – eine Summe, die allein schon Strom, Gas und Heizung fast wegfressen. Das Leben in Nefteyugansk ist wegen dem arktischen Winter nicht nur hart, sondern auch teuer. Die Preise für Lebensmittel oder Konsumgüter sind höher als im überteuerten Moskau, weil alles für viel Geld über endlose Wiesen und Sümpfe transportiert wird.

Nicht moskowitisch sind in Nefteyugansk die Löhne. Und mit der Sowjetunion sind viele Vergünstigungen untergegangen, welche man hier als Kompensation für das hart Klima genossen hat. Seither ist es vorbei mit Gratiskinderhorten und Sommerlagern am Schwarzen Meer. Heute fahren nur noch Kinder von Yukos-Arbeitern an die Sonne, dieses Jahr gratis.

Trotz aller Dementis, die man sich in der Stadtverwaltung anhören kann, fürchten viele, dass Nefteyugansk früher oder später geräumt werden könnte, wie andere Städte, die in klimatisch schwierigen Regionen liegen und deshalb teuer zu unterhalten sind. Bleiben würden nur die Ölarbeiter, die in Schichten arbeiten, um dann zur Erholung zu ihren Familien in andere Teile Russlands zu fahren. Doch heute arbeiten in Nefteyugansk vier von fünf Menschen nicht mehr in der Ölbranche. Was mit ihnen passieren würde, ist unklar.

ZITA AFFENTRANGER