peter ahrens über Provinz
: Auf nach Kölle

Was kann schlimmer sein, als dieser Tage in Hamburg zu leben? Höchstens Liegerad fahren

Es reicht mir. Ich habe die Nase voll davon, immer wieder darauf angesprochen zu werden. Ach, du bist Hamburger, heißt es dann auf Partys, vorzugsweise, wenn ich mal in der Hauptstadt bin. Die Mundwinkel ziehen sich höhnisch nach oben, und es fallen die üblichen Stichworte: Rosa Rathaus, blaue Uniformen, Lippenherpes, Horrorkova. Ich halte persönlich nicht viel von Sippenhaft, wenn ich selbst davon betroffen bin. Aber lahm dagegenzuhalten, ich hätte Herrn Schill damals nicht gewählt, klingt verdammt opportunistisch. Das tönt wie das Argument des Ostens, als das mit den blühenden Landschaften etwas hinter dem Zeitplan herhinkte und es wahltechnisch anschließend auch niemand gewesen sein wollte. Also mache ich lieber gleich reinen Tisch: Ich will kein Hamburger mehr sein.

Früher, ja, früher, da war es eine Zier: Der Ruf linksintellektueller Schwarmgeister wie Uwe Seeler oder Hans Apel machte es leicht, überall in der Republik Hanseatenflair zu versprühen. Dann die Hafenstraße, ach ja, die Hafenstraße, und der Hamburger Kessel Buntes. Hamburg war quasi die Hauptstadt der Bewegung, wenn ich das jetzt mal so ins Unreine formulieren darf. Gräfin Dönhoff ritt im Morgennebel auf ihrem ostpreußischen Trakehner „Volkan“ über die Reeperbahn. Das Dreigestirn Henry Vahl, Horst Hrubesch, Axel Springer regierte. Herr Schmidt aus Hamburg-Bergedorf konnte nicht nur Englisch sprechen und Jungsozialisten und andere RAF-Mitglieder kartätschen, er spielte darüber hinaus Orgel. Ein Bundeskanzler, der ein Instrument beherrscht, das lässt sich jungen Menschen, die nur den Currywurst-Kanzler und bestenfalls dessen kopulenten Vorgänger kennen, gar nicht mehr vermitteln. Aus, vorbei, vorüber.

Und heute? Die Toren zur Welt sind am Ruder. Heidi Kabel, heißt es, nähere sich der Demenz. Antje, das Walross, ist gar ganz tot. Naddel erfreut sich dagegen guter Gesundheit. Der FC St. Pauli? Ganz rasch das Thema wechseln. Der HSV? 1:5 in Wolfsburg, ich wiederhole: Wolfsburg. Apropos: Effenberg – ein Hamburger Junge, na logisch. Ole von Beust, Roger Kusch, der Spiegel, überall Niedergang. Damit möchte ich nichts mehr zu tun haben.

Kölner – ich denke, ich möchte stattdessen Kölner sein: Millowitsch, dä Sultan hätt Doosch, Poppe-Danze-Fiere, das atmet lockeren Lebenswandel, ein bisschen levantinisch, weltoffen und tolerant, so wie Hamburg mal war, bevor es sich jetzt endgültig zum allgemeinen Gespött gemacht hat. Peinlich, sehr peinlich.

Gut, jemand könnte jetzt einwenden, es gebe noch peinlichere Dinge, als zurzeit Hanseat zu sein. Fahrer eines Liegerades zum Beispiel. Oder das, was einer guten Freundin von mir mal passiert ist. Sie wohnt in einem Mehrparteienhaus, in dem ein Pärchen in die Wohnung über ihr eingezogen war. Seitdem drangen regelmäßig lautstarke Sexgeräusche an ihr Ohr. Um mit dem Kollegen Schill zu reden, es kam zu Dingen, die auf Liebesakte schließen lassen. Irgendwann, als sie das Pärchen mal im Treppenhaus traf, hat sie die beiden drauf angesprochen, ob das vielleicht auch etwas leiser ginge. Danach war es still. Die Freundin hat später erfahren, dass das Pärchen sich kurz nach diesem Gespräch getrennt hat, weil die Sexgeräusche zwar von ihr, aber nicht von ihm stammten.

Peinlicher ist vielleicht nur noch die Geschichte, die ich aus dem NDR – Hamburg, na, klar – erfuhr, wenn sie auch schon ein Weilchen her ist. Nach dem Tode des Zentralratsvorsitzenden Ignatz Bubis wollte der NDR-Hörfunk ein Interview mit dem damaligen Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, über den Verstorbenen führen. Durch ein unglückliches Versehen war der NDR-Redaktion allerdings der Finger im Telefonbuch wohl um eine Zeile verrutscht, so dass der zuständige Redakteur im Studio zwar ein Live-Telefoninterview mit einem Manfred Kock aus Hannover führte, dies aber ein unbescholtener Rentner war und beileibe kein Kirchenfunktionär. Es muss ein nettes Gespräch gewesen sein, das der Pensionär Manfred Kock mit dem großen Norddeutschen Rundfunk über den ihm völlig unbekannten Herrn Bubis aus Frankfurt geführt hat. Original-Frage des Redakteurs: „Wie war denn die Zusammenarbeit mit Bubis und den Christen der Evangelischen Kirche?“ Antwort Kock: „Die Zusammenarbeit war absolut positiv.“ Frage: „Können Sie das an Beispielen klar machen?“ Antwort: „Nein, im Augenblick nicht.“

So lange ich Gefahr laufe, solche Perlen der Informationsgesellschaft zu verpassen, wenn ich Richtung Köln oder sonstwohin emigriere, bleibe ich vielleicht doch noch ein bisschen im Norden. Schill ist ja jetzt immerhin weg.

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