taz-serie (4): wie fahren wir 2010?
: Leihradeln reloaded

Verzichtet auf Fahrpläne, Takte und Linien!

An Straßenkreuzungen in Berlin, Frankfurt am Main und München stehen sie, in anderen Städten werden sie kommen: Die „Callbikes“, silberrote Mieträder der Deutschen Bahn. Wer sich einmal mit einer Gutschrift in Höhe von 5 Euro bei der Bahn registriert hat, kann sie jederzeit ausleihen. Blinkt das Rad grün, ist es frei. Ein Anruf bei der Bahn – und es gibt den Code, um das Rad aufzuschließen. Die Nummern stehen auf dem Rad oder werden aufs Handy geschickt. Hat man das ein-, zweimal gemacht, dauert alles zusammen eine halbe Minute. Wer das Callbike nicht mehr braucht, stellt es irgendwo an einer Ecke wieder ab. Abgerechnet wird später: Die Minute kostet 6 Cent, wer eine Bahncard hat, zahlt 4.

Viele Versuche mit Pfand- und Leihrädern sind gescheitert, das technisch aufgerüstete Update der Bahn – gegen Teileklau weitgehend immun und dennoch einfach zugänglich – schafft den Durchbruch. Nach anderthalb Jahren gibt es 3.500 Räder und über 30.000 Kunden. Tendenz steigend.

Dass so Geld verdient werden kann, ist trotzdem kaum zu glauben. Ein Bahnsprecher sagt nur: „Wir sind zufrieden, wenn im Schnitt jedes Rad einmal pro Tag benutzt wird.“ Bei schönem Wetter am Wochenende kommt das vor, die Regel ist es aber nicht. Dafür sorgen die Räder für Markenpräsenz. Zwei Drittel der Münchner und Berliner kennen sie, jeder zehnte will demnächst selbst mal fahren. So viel Zuspruch kann der Deutschen Bahn nach dem Ärger mit dem Preissystem nur recht sein.

Und was reizt den Nutzer? Die Verfügbarkeit! Die Callbiker schätzen es, wann und wo immer sie wollen, aufs Rad steigen zu können. Sie sind sowieso äußerst mobil. Jeder zweite hat eine Bahncard, jeder dritte ein Jahresticket für Busse und Bahnen und fast genauso viele machen bei Vielfliegerprogrammen wie Miles & More von der Lufthansa mit. Anders als die meisten deutschen Großstädter lassen sie ihr Auto im Alltag stehen, fahren stattdessen mit Bus und Bahn, nehmen mal den Mietwagen, mal den Flieger.

Zur Stammklientel des öffentlichen Verkehrs gehören sie indes nicht. Zumeist sind sie jung, häufig Single und technikbegeistert. Außerdem verdienen sie überdurchschnittlich gut. Spontanität gehört zu ihrem Lebensstil. Jeder und jede nimmt sich, was er gerade braucht. Wo sie will, solange er will. Solche Bedürfnisse hat der öffentliche Verkehr bisher ignoriert, deshalb bleiben ihm schon seit Jahren die Kunden weg.

Call-a-bike macht jetzt also die Probe aufs Exempel: Keine Fahrpläne, keine Takte, keine Linien. Das entspricht einem urbanen Milieu, wie man es sich nach den verblühten Hoffnungen auf eine Verkehrswende für die Zukunft nur wünschen kann: Multioptional, pragmatisch, hoch individualisiert – und trotzdem nicht an das Auto verloren. Call-a-bike ist Leihradeln reloaded, warten wir noch auf Call-a-car. CHRISTIAN MAERTINS

Der Autor ist Ingenieur für Umwelttechnologie und arbeitet in der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)Nächste Woche: Der Fluch des Handys – wie Technik Ungerechtigkeit schafft