Ärger mit fremden Fühlern

Lange bevor es den Menschen gab, tummelte sich schon Ungeziefer auf der Welt. Und es denkt gar nicht daran abzuhauen. Schlimmer noch, es bedient sich in unseren Speisekammern. Ein Ausflug in die Fauna von Hamburgs Küchen und Schränken

von Marc-André Rüssau

Zu Demonstrationszwecken holt Dr. Udo Sellenschlo gerne mal eine argentinische Schabe aus dem Terrarium. Das fingergroße Tier lässt er dann über seinen Schreibtisch huschen – und weidet sich am prompten Entsetzen seines Publikums. Dr. Sellenschlo lächelt milde und beruhigt: „Die Sorte kommt natürlich nur in Südamerika vor.“ Glück gehabt.

Trotzdem krabbelt und kriecht es auch in Hamburgs Wohnungen. Sellenschlo kennt sich mit den unerwünschten Hausgenossen aus wie kaum einer: Er ist im Institut für Hygiene und Umwelt Ungezieferspezialist. Bei ihm kann der besorgte Bürger anrufen, wenn sich ihm aus der Vorratskammer plötzlich fremde Fühler entgegenstrecken.

Für die aufgeregtesten Anrufe sorgen Beckentaucher. Das sind Ratten, die durch die Abwasserrohre den Weg aus der Kanalisation in die Häuser gefunden haben. Dann taucht der schlaue Nager im Toilettenbecken auf – im schlimmsten Fall vor einem entsetzten Menschen. Etwa zehnmal im Jahr wird Sellenschlo ein solcher Beckentaucher gemeldet, doch die Dunkelziffer dürfte hoch sein: Viele Ratten werden unbemerkt wieder abtauchen.

Häufiger sind Käfer- und Mottenlarven aller Art. Im Kleiderschrank machen sie sich über die Wollsachen her, in der Küche über die Vorräte. Und egal wie hygienisch es zugeht, sicher vor Insektenbesuch ist niemand. „Meistens bringt man sich die vom Einkaufen mit, in den gekühlten Lagerräumen entwickeln sich die Larven nicht, sobald es dann warm wird, werden sie aktiv.“ Untrügliches Zeichen sind Mottengespinste im Müsli oder mitgekochte Reiskäfer beim nächsten chinesischen Essen. Mancher Schokoriegel, dessen Verpackung intakt erscheint, ist innen mit einer Ungeziefer-Kotschicht bedeckt. „Im dunklen Kino wundert man sich dann vielleicht über die ungewöhnliche Konsistenz“, sagt Sellenschlo, „aber geschmacklich merkt man wahrscheinlich nicht viel.“

Bei allem Ekel: die Gesundheitsgefährdung durch Ungeziefer hält sich in Grenzen. „Die machen nur krank, wenn sie vorher mit Erregern Kontakt hatten und die dann auf Nahrungsmittel übertragen.“ Wie die Fliege, die vom Mülleimer aufs frische Mettbrötchen fliegt.

Wenn Ungeziefer in der Wohnung ist, muss erst mal die Art der Motte oder des Käfers bestimmt werden. Dann weiß der Fachmann, wovon sich das Insekt ernährt. „Manchmal muss man eben jeden Schrank vorziehen, und schauen, ob dahinter offene Lebensmittel vergammeln“, so Sellenschlo. Gegen Lebensmittelmotten helfen außerdem Fallen mit Sexuallockstoffen, in denen die Männchen kleben bleiben. Und ohne Männchen keine neue Ungeziefergeneration. Lavendelsäckchen im Kleiderschrank nutzen übrigens nur vorbeugend: „Die Motte riecht dann die Wolle nicht, und zieht zum Nachbarn weiter“, sagt Sellenschlo. Wenn Motten schon in der Kleidung sind, ist ihnen Lavendel egal.

Um Ungeziefer vorzubeugen, sollten Lebensmittel nur bei 10 bis 12 Grad gelagert werden. „Das tötet die Tiere zwar nicht ab“, erklärt der Experte, „aber die Larven entwickeln sich bei der Temperatur nicht weiter und pflanzen sich deswegen auch nicht fort.“ Aber Sellenschlo weiß, dass der Tipp in engen Stadtwohnungen nur begrenzt alltagstauglich ist: „Kaum jemand hat eine kühle Vorratskammer, und im Kühlschrank reicht der Platz nicht.“ Wichtig ist, Nahrungsmittel gut zu verschließen, quasi luftdicht: „Wer Nüsse in einem alten Honigglas aufbewahrt, muss sich nicht wundern, wenn da Ungeziefer rankommt.“ Die Motte legt ihre Eier auf den Deckel, die Larve kriecht dann durch das Gewinde. Bei einem viertel Millimeter Durchmesser passt sie da gut durch.

Gegen die harmlosen Silberfische im Bad würde Sellenschlo übrigens nicht einschreiten: „Die brauchen Feuchtigkeit, und die ist im Badezimmer nun mal immer gegeben.“ Nur wenn die Fischchen auch in der übrigen Wohnung dauerhaft auftreten, sollte man sich Gedanken machen. Nicht über die winzigen Kriecher, sonder darüber, ob vielleicht die Wände wegen eines lecken Wasserrohrs feucht sind.

Manchmal weist Ungeziefer eben auf viel Schlimmeres hin. Ein Hamburger beschwerte sich über Maden, die plötzlich in einer Zimmerecke auftauchten. „Schauen Sie doch mal nach, ob ihr Nachbar noch lebt“, konnte Sellenschlo nur raten. Der Mann versuchte daraufhin von seinem Balkon aus einen Blick durchs Fenster der Nachbarwohnung zu werfen. Und scheiterte: Die Scheibe war schwarz vor Fliegen.

Institut für Hygiene und Umwelt: ☎ 428 45 77