berliner szenen Probleme mit Pflanzen

Paranoia beim Blick raus

Die Pflanzen, die an den Fenstern standen, machten mich nervös. Sie waren in den letzten zwei Wochen so sehr gewachsen, dass man sie erkennen konnte, wenn man von der Straße aus auf meine Fenster schaute. Auf der Straße war jeden Tag die Polizei wegen der Jugendbande, die Jungs von der Jugendbande wussten natürlich Bescheid, dachte ich, und die türkischen Familien bestimmt auch, die gegenüber wohnten. Außerdem hatten gestern Abend in der Wohnung gegenüber „Synanon“-Umzugskisten herumgestanden. Das alles machte mich nervös. Nervös schaute ich manchmal minutenlang meine Pflanzen an und überlegte, ob ich sie nicht doch verstecken sollte. Wollte ich aber nicht. Vor allem die eine Pflanze, die mir so auffällig schien, weil sie es mittlerweile schon auf 1,60 brachte, war ja auch eine Fahne für eine bestimmte Gesinnung, und es wäre einer Kapitulation gleichgekommen, sie wieder ins Zimmer zu holen. Seltsame Art, eine Fahne rauszuhängen, wenn man gleichzeitig auf dem Nachhauseweg ängstlich nach oben schaut und hofft, niemand würde sie bemerken. Manche bemerkten es aber auch. Die Frau aus dem Fischladen hatte etwa mal verschwörerisch gewunken. K. sagte, man sei paranoid, und erzählte von N., „dem wandelnden Kompromiss“, der sich in der eigenen Wohnung schon fast verstecke, wenn er einen drehe, und regelrecht sauer werde, wenn man die Pappe seiner Blättchen für Filter verwende, weil sonst könnte ja jemand bei seiner Arbeitsstelle auf die Idee kommen, dass er kiffen würde. Die kleine Nichte hatte gefragt, was das für eine Pflanze sei, und man hatte gesagt, das sei eben so eine prima Pflanze, und sie sieht ja auch schön aus, wenn sie da so herumsteht am Nachmittag in der Sonne. DETLEF KUHLBRODT