Woodstock liegt jetzt in Kostrzyn

An diesem Wochenende rockt und lockt das größte Festival Polens, die „Haltestelle Woodstock“ – „Przystanek Woodstock“, rund 400.000 Fans

Vom Bahnhof ein Fußmarsch von etwa vier Kilometern. Die Sonne brennt, und die wenigen Autos dringen nur im Schritttempo durch die heranwandernden Besuchermassen. Deren Durchschnittsalter liegt zwischen 16 und 25, ihr Outfit erinnert an Friedrichshainer Besetzerkneipen.

Rechts und links der Straße versuchen die Anwohnenden ihr Glück im Gedränge. An improvisierten Theken bieten sie Bier, Sandwiches und riesige Mengen Wasser an. Am Ende der Strecke lichtet sich der Wald zu einer riesigen Fläche, über der bereits in der Nachmittagshitze eine graue Staubwolke schwebt: „Haltestelle Woodstock“. Menschen, Zelte, Buden, alles schimmert durcheinander, nur lange Reihen blauer Dixi-Klos bilden eine Orientierung. Hey, es ist wieder mal Woodstock.

„Das große Orchester der Weihnachts-Wohltätigkeits-Stiftung“, auf Polnisch „Wielka Orkiestra Witecznej Pomocy“ – wer diesen Namen hört, wird dahinter kaum den Veranstalter des größten Rockfestivals in Polen vermuten. Tatsächlich kamen im Vorjahr zwischen 300.000 und 400. 000 Besucher. Für die gestern in Kostrzyn gestartete 10. Auflage des „Haltestelle Woodstock“-Festivals, im Original „Przystanek Woodstock“ genannt, rechnen die Veranstalter mit ebenso vielen Teilnehmenden. Genaue Angaben sind aber schwer zu bekommen, denn Eintrittskarten wurden und werden keine verkauft – das Festival ist schließlich kostenlos. Organisiert wurde es damals, vor zehn Jahren als Dank für alle Helfer des landesweiten Weihnachtskonzerts, dessen Millionenerlöse für Kinderkrankenhäuser gespendet werden. Eine nette Geste also an die Ehrenamtlichen.

Seit vor zwei Jahren die „Toten Hosen“ aufspielten, horchte man aber auch in Deutschland auf. Mehrere tausend Neugierige kamen schon im Vorjahr aus dem westlichen Nachbarland. Jetzt, nachdem mit der Verlegung des Festivals nach Kostrzyn das Spektakel nur noch 90 Minuten von Berlin entfernt ist, werden es immer mehr, die sich mal über die Grenze trauen.

Trotz fehlender Gagen waren unter den rund 700 Bewerbern auch nicht wenige deutsche Bands, wie Woodstock-Gründer und Stiftungspräsident Jerzy Owsiak berichtet. Die 26, die gestern und heute auf der rund 40 Meter breiten Bühne auf einem früheren Truppenübungsplatz spielen, hat er persönlich ausgewählt. Die musikalische Skala reicht von Blues über Heavy Metal und von Punk bis Reggae. Die Herkunftsländer der Musiker sind neben Polen, Tschechien und Ungarn eben auch Deutschland und Kanada. Heute spielen die Cottbusser Punkrocker von SPN-X und die Düsseldorfer Band Fidget.

Doch nicht nur Musikfans und Bands wagen sich hinter die Grenze an der Oder. Die Brandenburger Polizei und der BGS sind ebenfalls da. Ihre Aufgabe: den polnischen Kollegen helfen und den 1.100 Freiwilligen der Friedenspatrouille. Auch Nichtregierungsorganisationen sind hier, Aktivisten der Globalisierungskritiker von Attac. Sie wollen ihre polnischen Mitstreitenden unterstützen bei Podiumsdiskussion zu Themen wie „Soll Wissen ein Luxus für Auserwählte werden? – Wie GATS Diskriminierung hervorruft“. Schließlich ist es ja Woodstock, das braucht eine ehrliche Message.

CLEMENS SCHÖLL

Für Kurzentschlossene: Die Konzerte beginnen heute um 15 Uhr, mit den letzten Auftritten wird gegen 2 Uhr nachts gerechnet. Der Regionalexpress nach Kostrzyn fährt stündlich ab Berlin-Lichtenberg. Informationen: www.wosp.org.pl