Bürgerstreik, Betteldemos und „irrer Protest“

FU-Professor Peter Grottian will die umstrittenen Hartz-Reformen zu Fall bringen. Nach den Sommerferien soll eine große, bunte Kampagne Berliner und Bundespolitiker unter Druck setzen. Mitte August diskutieren die Aktivisten

Für den Pool hat Provokateur Peter Grottian keine Zeit. Während andere ihre Sommerferien genießen, macht sich der Politikprofessor der Freien Universität Berlin schon mal Gedanken, wie die umstrittenen Hartz-Reformen noch verhindert werden können. Nicht die Bankgesellschaft oder günstige U-Bahn-Tickets sind deshalb das Thema des Professors, sondern nichts Geringeres als „die Agenda-2010-Politik zu Fall bringen!“. Dafür hat er ein der taz vorliegendes Strategiepapier verfasst, das auf einem Aktivistentreffen Mitte August in Berlin diskutiert werden soll. Kernaussage des Papiers: „Zivilisatorischen Ungehorsam“ in allen Varianten organisieren.

Weil die Politik Massenpro$teste ignoriere, müssten „zivilgesellschaftliche Widerstände neuen Typs“ entwickelt werden, so Grottian. Schließlich dürfte der Herbst 2004 „durch einen weiteren Legitimationsverlust der SPD und die brutale Zurichtung über Hartz IV in eine Verarmungspolitik gekennzeichnet sein“. Die Aktivisten dürften sich nicht in Wahlalternativen, außerparlamentarische Linke, Gewerkschaften und soziale Gruppen spalten lassen.

Seine Idee: ein bunter Strauß von Aktionen und Aktivitäten ab September, die die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau – wie sie SPD, Grüne, CDU und FDP beschlossen haben – anprangern. Das Boulevardblatt B.Z. attestierte dem Professor schon mal anerkennend, „irren Protest“ zu planen. Dazu gehören eine „Verweigerungskampagne gegen den Hartz-IV-Fragebogen“, ein Streik von Hochschullehrern und Studenten, eine Großdemonstration vor dem Tag der Deutschen Einheit.

Zudem möchte Grottian in ausgewählten Stadtteilen jeden Betroffenen anschreiben und für die Aktionen mobilisieren: Darunter ist die Idee, „gewaltfrei eine Arbeitsagentur für einen Tag zu schließen“. Grottians Begründung: „Wie viel Gewalt durch diese Ämter ausgeübt wird, ist längst zum öffentlichen Konflikt zu machen.“

Weitere Ideen: Eine „provozierende, bedrängende Bettelaktion im Grunewald“. Zudem sollen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens von Armen „begleitet“ werden. Jugendzentren könnten außerdem besetzt, politisch Verantwortliche belagert werden. Weiter fordert Grottian Mitarbeitende in den Institutionen auf, nicht mehr loyal zu sein: „Erst wenn Jugendarbeiter, die 150 Jugendliche betreuen sollen, erst wenn Hochschullehrer, die mit 120 studierenden Seminare gestalten sollen, erst wenn Sozialbeamte, die 180 Sozialhilfeempfänger sinnvoll betreuen sollen, sich diesen Aufgaben verweigern und die Arbeit demonstrativ niederlegen, wird sich die herrschende Politik herausgefordert sehen.“

Für den 6. November schlägt Grottian eine Großdemonstration in Nürnberg vor. Zuvor soll die dortige Bundesagentur für Arbeit belagert werden. Am 10. Dezember soll nach Grottians Vorstellungen ein Bürgerstreik das Land für drei Stunden lahm legen. Dies sei „eine eindrucksvolle, regelverletzende und machbare Protest- und Konfliktform“. Einen Tag später sollte in Berlin ein Hartz-Tribunal stattfinden und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) „feierlich festgenommen“ werden.

Grottian hat aber nicht nur die Bundes-, sondern auch die Landespolitik im Visier. Er will einen radikalen Entschuldungsplan für Berlin vorlegen, „der die einäugige Sparlogik von Finanzsenator Sarrazin durchbricht und Entschuldung und Lösung des Bankenskandals zusammenbindet“. Grottian fordert „ganz andere Ausgabenkürzungen, Einnahmeverbesserungen durch eine kommunale Notsteuer, ein Schuldenmoratorium“ und „Personalkostensenkung in den oberen Einkommensschichten“. ROT