Gib mir ganz viel Liebe!

Bei ihrem Premierentag „The Big Picture“ versucht die Senderfamilie ProSiebenSat.1 verzweifelt, die Zuneigung der Werbeindustrie zu erobern. Sat.1 will weiblicher werden, ProSieben wieder jünger

AUS DÜSSELDORFSTEFFEN GRIMBERG

Den Anfang machen Fallschirmspringer ganz in Weiß, aber natürlich nur auf der Leinwand. Anschließend wummert's unterm Sitz, eine tiefe Stimme verlangt so energisch wie nervtötend: „Gib mir Liebe!“ – und dann geht's richtig los. Die ProSiebenSat.1-Familie hat mit ihren neuen Eltern zur Programmpräsentation in Düsseldorfer Schauspielhaus geladen, und da will man sich nicht lumpen lassen. Schließlich sitzen beim „Big Picture“ die Damen und Herren der Werbung im Publikum, und die Privatsender sind auf ganz viel von deren Liebe angewiesen. Denn der kleine Aufschwung bei den seit über drei Jahren rückläufigen Reklamezahlen soll bleiben, wachsen, endlich wieder zum „stabilen Aufwärtstrend“ werden, wie sich’s ProSiebenSat.1-Obervermarkter Peter Christmann wünscht.

Bis zum letzten Jahr gab es für solch umsatzsteigernde Seelenmassage die Telemesse als Großshow aller Sender. Doch die wurde 2004 von RTL wie der ProSiebenSat.1 AG abgeblasen – aus Kostengründen. Dass „Big Picture“ jetzt lässig so viel gekostet haben dürfte, wie die AG früher bei der Telemesse einzahlte, kann aber niemanden erschüttern. „Wir haben alle ein Stück volkswirtschaftliche Verantwortung“, sagt Christmann am Ende seiner Rede.

Barbara Schöneberger, auf ihrer Senderodyssee mittlerweile bei ProSieben angekommen, hat dagegen verdammt hohe Absätze an und verfängt sich im tiefen Bodenflor der Bühne. Wie immer in solchen Situationen analysiert sie die Lage glasklar: „Man ist ja ein Stück Ware und wird durch die Fernsehwelt geschickt.“ Und weil ihr Komoderator Oliver „Die Alm“ Pocher in Wirklichkeit noch unterirdischer ist, als das Medium zeigen kann, retournierte der: „Du machst doch für jeden die Beine breit.“ Scharfes Einatmen im Saal, knallt sie ihm jetzt eine? Aber nein, es gibt ein paar Programmclips. Denn ProSieben will wieder ganz klar die junge Entertainment-Marke sein. Also bitte keine hämischen Fragen nach alternden Gunter Gabriels und Pseudobauernhöfen, das war nur fürs Sommerloch. Sondern zurücklehnen und Hollywood auf sich einprasseln lassen: „Spider Man“, „A Beautiful Mind“, „My Big Fat Greek Wedding“, „Men In Black 2“ – demnächst im Heimkino. Bei den für ProSieben so wichtigen US-Hochglanzserien passt „O. C. California“ mit seiner Orange-County-Rundum-Sorglos-Highschool-Atmosphäre hübsch zur Zielgruppe. Die schon auf der Cologne Conference ausgezeichnete (die taz berichtete) abgedrehte Schönheitschirurgen-Saga „NIP/Tuck“ hat das Zeug, ein zweiter „ER“ zu werden, dazu laufen die letzten Staffeln von „Friends“ und „Sex and the City“. Das Licht geht wieder an, und wer hätte das gedacht: Sitzt da Stefan Raab mit einem gewissen Max, der morgens um elf noch ziemlich daneben kickst. Weil sonst niemandem was einfällt, macht Raab eben mit der Wok-WM weiter. Und weil's so schön Quoten bringt, gleich noch ein Springreitturnier mit der üblichen B-Prominenz hoch zu Kleinpferd hinterher.

Plötzlich ist Schluss mit ProSieben, ein Herr von Kabel 1 huscht durchs Bild und versichert, das hier alles beim Alten, Guten bleibe, dazu singt ein ganz in Weiß gewandeter Chor nebst großem Orchester, und dann endlich kommt – Anke.

Aber nicht allein. Sat.1-Chef Roger Schawinski drängelt sich vor und verkündet, dass sein Sender künftig den „begabtesten, spannendsten“, ja überhaupt großartigsten Nachrichtenmann des deutschen Fernsehens habe. Der heißt Thomas Kausch, kommt vom ZDF und dürfte es dank der enthusiasmierten Auftritte seines Chefs noch schwerer haben, den siechen Sat.1-Nachrichten so etwas wie seriöses Leben einzuhauchen. Immerhin: Der Sender versucht's. Schawinski auch: Er gibt den Journalisten und befragt eine etwas irritierte Anke Engelke nach ihrer Arbeitsbelastung. „Heute morgen haben wir die Show von gestern Abend gedreht, und nachher mach ich die Sendungen für August und September“, sagt die , Schawinski macht „hihi“, und auch das steht alles so im Skript und wird bei allen drei Auftritten an diesem Tag wiederholt. Das Publikum rätselt unterdessen, ob zwei Monate „Kreativpause“ da reichen. Immerhin haben ProSieben und Sat.1 ihre bis in die letzten Tagen des untergehenden Kirch-Imperiums liebevoll gepflegten Animositäten beigelegt: Sat.1 bleibt der Kanal für die ganze Familie und vor allem für die Frau von heute: Sophie Schütt bekommt eine eigene Serie als allein erziehende Mutter, auch bei den Spielfilmen und Eigenproduktionen steht klar die Zuschauerin im Vordergrund. So sehr, dass ab September zwölf Männer in „Kämpf um deine Frau“ unter freundlicher Anleitung von Sat.1 ihre zerrütteten Beziehungen zum Ergetzen des Publikums wieder ins Lot bringen sollen. Und der unvermeidliche Kai Pflaume moderiert für die ganze Familie eine Kuppelshow, wo sich die Hälfte der Traummänner am Ende als schwul erweisen. „Da müssen wir uns bei Guido Westerwelle bedanken. Er hat das Format noch aktueller gemacht“, analysiert der Journalist Schawinski messerscharf.

Weil eben jetzt alle eine Familie sind, singen die Damen Engelke und Schöneberger zum Abschluss mit dem Kabel-1-Chor. Und es kommt zu einem Bild, dass die Situation der Sendergruppe unfreiwillig auf den Punkt bringt: Das Protokoll hat alle Sendergeschäftsführer zum Mittanzen auf die Bühne gezwungen, nur Schawinski macht nicht mit. So staksen die anderen allein eher unglücklich auf und ab. Geklaut ist die Idee mit dem Chefgesinge übrigens von den Programmpräsentationen bei Vox. Wobei Anke Schäferkordt wohl nie eingefallen wäre, so etwas Doppeldeutiges wie „Say a little prayer for me“ zu singen.