SPD-Rebellen gesundgeschrumpft

Viele Kritiker in der SPD-Bundestagsfraktion haben resigniert. Sie sehen keine Chance, den Kompromiss mit der Union zur Gesundheitsreform noch zu ändern. Schröder und Müntefering rechnen mit einer großen Mehrheit in den eigenen Reihen

aus Berlin JENS KÖNIG

Michael Müller hat vorgebaut. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende weiß, welche Frage ihm in den nächsten Wochen am häufigsten gestellt werden wird: Was ist daran eigentlich noch sozialdemokratisch? Wenn der Bundestag im Herbst die Gesetze zur Gesundheitsreform, zu den Gemeindefinanzen, zur Pflegeversicherung und zur Rentenreform mit den Stimmen der SPD verabschiedet, wird gerade Müller als einem Linken immer wieder die Frage vorgehalten, warum ausgerechnet Sozialdemokraten den Zahnersatz verteuern, Großunternehmen zu Lasten des Mittelstandes begünstigen und das Rentenalter auf 67 Jahre hochsetzen wollen. Weil all diese Reformen schwierige Kompromisse sind, wird Müller dann antworten. Er hat dafür extra noch mal in einem Lexikon nachgeschaut, was der Begriff „Reform“ eigentlich bedeutet: „Eine Reform ist das beständige und schrittweise Vorgehen zur Verbesserung des Bestehenden und zur Verhinderung der Revolution“, zitiert Müller laut und betont dabei das Wort „schrittweise“.

Das ist die sozialdemokratische Standardantwort für das, was Fraktionschef Franz Müntefering einen „intensiven, fröhlichen Herbst“ nennt: Egal ob Gesundheit, Rente, Pflege oder Gewerbesteuer – ein Schritt in die richtige Richtung ist allemal besser, als sich gar nicht zu bewegen. Unter diesem Motto stand auch die gestrige Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion, die erste nach einer durchaus ereignisreichen Sommerpause. Und weil es so viel zu bereden gibt, konzentrierte sich die Fraktion gestern allein auf das Thema Gesundheitsreform. Mehrere Abgeordnete redeten sich den Frust von der Seele. Ihnen geht der Allparteienkompromiss gerade bei den Strukturveränderungen im Gesundheitswesen nicht weit genug. Außerdem kritisieren sie die zusätzlichen Belastungen der Versicherten bei Zahnersatz und Krankengeld.

Der Kanzler verteidigte erwartungsgemäß den Kompromiss. Natürlich hätte sich die SPD mehr Abstriche bei den Leistungserbringern gewünscht, sagte Gerhard Schröder. Doch jeder müsse sich bewegen, wenn zwei große Parteien zusammensäßen. Franz Müntefering sagte nach der Sitzung, er rechne trotz der kritischen Stimmen mit einer großen Mehrheit in seiner Fraktion. Am 8. September gibt es eine erste Probeabstimmung, am 9. September wird das Gesetz in den Bundestag eingebracht.

Viele Kritiker haben ohnehin schon resigniert. Sie wünschen zwar Veränderungen am Gesundheitskompromiss, sehen aber nicht, wie diese gegen die Union durchgesetzt werden sollen. „Die machtpolitischen Voraussetzungen fehlen“, sagt Michael Müller. Er glaubt, dass fast alle Abgeordneten dem Gesetz zustimmen werden, wenn auch nur „mit der Faust in der Tasche“.

Größerer Ärger als beim Thema Gesundheit, so vermuten einige in der Fraktionsspitze, drohe Schröder sowieso bei der Gemeindefinanzreform. Darüber debattiert die Fraktion nächsten Dienstag. Da kann keiner mehr sagen, es handele sich um einen schwierigen Kompromiss mit der Union. Die Reform hat der Kanzler mit den Ministern Clement und Eichel selbst verbockt.