Warten auf Washington

Der neue Prozess gegen den vermeintlichen Terrorhelfer al-Motassadeq hängt davon ab, ob die USA zwei Rechtshilfeersuchen beantworten. Vor allem das US-Verteidigungsministerium sperrt sich: Al-Quaida soll nicht erfahren, was die USA wissen

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Es wird ein Wettlauf gegen den Kalender. Am 10. August beginnt am Hamburger Oberlandesgericht (OLG) das neue Verfahren gegen den Algerier Mounir al-Motassadeq. Ihm wird Beihilfe zu den Anschlägen vom 11. September 2001 vorgeworfen. Noch hofft das Gericht, dass die USA das Rechtshilfeersuchen rechtzeitig beantwortet, das vermutlich prozessentscheidend sein dürfte.

Motassadeq war im Februar 2003 zunächst zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Er soll die Hamburger Attentäter um Mohammed Atta durch Hilfsdienste unterstützt haben. Motassadeq bestritt jedoch stets, von den Anschlagsplänen gewusst zu haben. Im Februar diesen Jahres hob der Bundesgerichtshof das OLG-Urteil auf und verlangte eine neue Verhandlung. Dabei soll ein anderer Senat nun die vorliegenden Beweise „besonders vorsichtig“ würdigen, weil zentrale Beweismittel bisher von den USA zurückgehalten werden.

Am 4. Mai hat das OLG daher ein neues Rechtshilfeersuchen an die USA gestellt und darum gebeten, sechs Zeugen vernehmen zu dürfen. Konkret handelt es sich um Ex-CIA-Chef George Tenet, einen FBI-Agenten sowie die Al-Qaida-Kader Ramsi Binalshibh, Chalid Scheich Mohammed, Ould Slahi und Zacarias Moussaoui.

Zwei Monate später, am 2. Juli, legte das Gericht nach – für den Fall, dass die Zeugen gesperrt bleiben. Ein 17-seitiger eng bedruckter Fragenkatalog soll möglichst viel Wissen aus den Verhörprotokollen ins Hamburger Verfahren einführen. Erstellt wurde der Katalog gemeinsam von den Richtern, den Verteidigern Motassadeqs und der Bundesanwaltschaft.

Um die Kooperationsbereitschaft der US-Seite zu heben, war Kay Nehm im April sogar für eine Woche in die USA gereist, wo er Gespräche mit dem FBI, der Staatsanwaltschaft und dem Justizministerium führte. Die eigentlichen Blockierer sitzen allerdings im US-Verteidigungsministerium. Al-Qaida soll nicht wissen, was das US-Militär aus den Verhören erfahren hat.

Nun drängt allerdings die Zeit. Der OLG-Senat unter dem Vorsitzenden Richter Ernst-Rainer Schudt hat den Prozess vorerst bis 5. Januar terminiert. Immer dienstags und mittwochs soll verhandelt werden. Doch bis November ist die USA durch den Wahlkampf paralysiert und falls es zu einem Machtwechsel kommt, dauert es sicher einige Monate bis zum Beispiel ein neuer Verteidigungsminister seine Linie gefunden hat.

Es ist also wahrscheinlich, dass das „schwarze Loch“ nicht rechtzeitig gestopft werden kann und al-Motassadeq aus Mangel an Beweisen vom Hauptvorwurf – Beihilfe zu 3.000-fachem Mord – freigesprochen wird. Im April hat ihn das OLG bereits aus der Haft entlassen. Nach einer „vorsichtigen Beweiswürdigung“ sah es keinen dringenden Tatverdacht mehr.

Für möglich hielt das Gericht allerdings, al-Motassadeq wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen. Die Richter sehen Belege dafür, dass er Mitglied in Attas Zelle gewesen ist, bevor die Attentatsplanung begann. Anders als Nehm gehen die Hamburger Richter davon aus, dass die Atta-Zelle erst in die Planung der Flugzeugattentate eingeweiht wurde, nachdem mehrere Mitglieder nach Afghanistan gereist waren.

Spannend könnte der Prozess vor allem werden, wenn die USA tatsächlich die Fragen des Gerichts beantworten. Dann stellt sich nämlich das Problem, ob die Informationen überhaupt verwertbar sind – angesichts der Foltervorfälle im Irak.

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