szenenapplaus: der sommer ist möglich. noch
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Hafencity, 18.45 Uhr. Vorbei an den Einfahrten mit den „Fußgänger auf eigene Gefahr“-Schildern, hin zur unbebauten Kaispitze am Strandhafen, ein paar Abendstunden Hamburger Sommer genießen. Autos cruisen um den Wendehammer. Einige fahren vor bis zum Hügelrand, als wären sie an einem Strand. Fenster runter, Arm raus, die Fahrer blicken auf das Meer, auch wenn es nur die Elbe ist. Nirgendwo ist Hamburg so schön wie an diesem Ort. Hier wächst die Stadt noch wirklich, aus dem Untergrund sprießt der Löwenzahn. Auf einer ebenerdigen Holzveranda sitzt eine Frau im leichten Sommerkleid und liest. Ein Fahrradkurrier hat die Füße auf einem Stuhl gelegt, der dazugehörige Tisch hat einen Aufkleber mit den Buchstaben SAP. Unterhalb des Hügels legt ein Golfer sein Zwölftel-Quadratmeter Rollrasen im Sand aus und übt den Abschlag in die weite Brache. Ein junges Paar vergnügt sich auf einem grauen Betonklotz und trinkt. Wer hier herkommt, dem geht es nicht um Piazza, Latte Macchiato und FlipFlops, der möchte wirklich Ruhe haben. Der Sandkai ist frei von intellektuellen Eitelkeiten, frei von sozialem Ruß. Kein Beach Club weit und breit, keine Musik. Wer hier herkommt, spart sich den Weg zum Meer. Am Sandkai ist der Sommer möglich, Palmen – die echten und nicht die aus den Beachclubs – rücken in greifbare Nähe. Noch, doch nicht mehr lang. Denn bald wird alles anders werden, wie ein Blick aufs nahe Info Center zeigt. In zwei Jahren wird wohl exotisch getrimmtes Schilf zwischen teuren Teakholz-Stegen rascheln. Die Sonne wird früh hinter einem fünfstöckigen Gebäude verschwinden, und das bis dahin etablierte Café im SAP-Gebäude wird Galao für fünf Euro servieren. Und um 22 Uhr Tische und Stühle reinräumen. Bis dahin: Wind und Wellen, Möwengeschrei und Abendsonne. Wir nehmen es mit, solange der Vorrat reicht. Christian T. Schön