Kampfansage in Ullrich-Land

Bevor sich der Radprofi Lance Armstrong beim vom Duo Jens Voigt/Bobby Julich gewonnenen Paar-Zeitfahren in Bühl mit einem vierten Platz zufrieden gibt, tut er seine Absicht kund, die Tour de France zum siebten Mal gewinnen zu wollen

AUS BÜHL FRANK KETTERER

Vielleicht ist das ja alles nur der pure Zufall, obwohl man bei dem Mann aus Texas daran so richtig nicht glauben mag. Vielmehr wird man die leise Ahnung nicht los, dass es schon etwas zu bedeuten hat, wenn Lance Armstrong ausgerechnet bei seinem ersten und einzigen Start in Ullrich-Land schon vor dem Rennen aufs Podium steigt und dort cool lächelnd jene Frage beantwortet, die die Radsportwelt seit einer Woche umhertreibt. „Nein, ich bin noch nicht fertig mit der Tour de France“, ließ Lance Armstrong am Samstag beim Paarzeitfahren im badischen Bühl jedenfalls wissen, „ja, ich werde sie auf jeden Fall noch einmal fahren“. Also schon im nächsten Jahr? „Das weiß ich noch nicht“, sagte der 32-jährige Amerikaner, schob aber nach: „Auch ich werde älter und als Athlet nicht mehr besser. Ich habe den Zenit erreicht, nun kann ich das nur noch halten.“

Es wird, das steht fest, ein Halten auf allerhöchstem Niveau sein, und die Konkurrenz, allen voran Jan Ullrich, Deutschlands schlampigstes Radtalent, kann schon jetzt die Köpfe hängen lassen. Armstrong wird nicht noch mal antreten, um die Tour zum Abschluss seiner einzigartigen Karriere zu verlieren. Und ganz bestimmt ist auch das kein Zufall: Dass Armstrong, dieser akribische Radarbeiter, bereits den nächsten Sommer ins Visier nimmt und plant, während sein phlegmatischer Pseudokonkurrent aus Germany noch heftig mit der Aufarbeitung der diesjährigen Schleife beschäftigt ist. Just am Samstag haben sich Ullrich und seine von ihm enttäuschten Vorgesetzten vom Team T-Mobile zur Schlichtung des Streits über Ullrichs Bequemlichkeit getroffen. Details der Aussprache sind bisher zwar nicht öffentlich geworden, letztendlich fest aber steht schon jetzt: Armstrong hat die Nase in puncto Tour 2005 längst schon wieder vorn.

Welche Höhen der erste und einzige Sechsfach-Tour-Sieger bereits erreicht hat, war am Samstag in Bühl nett mit anzusehen: Ohne gut 20-köpfigen Begleitschutz schafft er es kaum mehr zur Einschreibung, bei den üblichen Vor-Start-Interviews mit ihm herrscht im Publikum nahezu andächtige Stille. Erst danach bitten und betteln die Fans lautstark um Autogramme, nicht wenige haben das Buch dabei, in dem Armstrong den Siegeszug über seinen Krebs beschrieben hat. Für sie ist der Amerikaner mehr als nur ein radelndes Weltwunder.

Da spielte es auch keine Rolle, dass er mit seinem Siegertipp beim hoch dotierten und schon deswegen prominent besetzten Kirmesrennen rund um Bühl daneben lag, wenn auch nur knapp: Das deutsche Zeitfahr-Spezialisten-Duo Uwe Peschel und Michael Rich vom Team Gerolsteiner schätzte der Amerikaner am stärksten ein, doch bereits in Runde zwei der sechsmal zu durchfahrenden 13,7-km-Schleife (82,2 km) war diese Prognose überholt, weil die 1:30 Minuten hinter dem Gerolsteiner-Tandem gestarteten Jens Voigt und Bobby Julich vom dänischen Team CSC Armstrongs Favoriten bereits eingeholt hatten. Die beiden Zweier-Mannschaften lieferten sich ein spannendes Duell, der Sieg aber war letztendlich schon vergeben: an Voigt und Julich.

Warum das Spektakel gegen die Uhr so früh schon entschieden war, wusste ausgerechnet Jens Voigt zu begründen: Uwe Peschel, so ließ er wissen, sei ein bisschen angeschlagen an den Start gegangen, Rich hingegen, der auch bei Olympia in Athen zu den Medaillenkandidaten im Zeitfahren gezählt werden muss, im Vollbesitz seiner enormen Kräfte. „Einer superstark, der andere angeschlagen“, sprach Voigt, „das ist dann nicht harmonisch.“ Genau aus dieser Harmonie und Ausgeglichenheit zwischen den Fahrern aber besteht die selten praktizierte Kunst des Paar-Zeitfahrens. Voigt: „Bobby und ich waren super harmonisch und super ausgeglichen.“

Gut möglich, dass das auch der Grund war, warum Lance Armstrong nicht wirklich in den Kampf um den Sieg eingreifen konnte. Vielleicht vermochte George Hincapie, sein treuer Tour-Vasall und Freund, einfach nicht mithalten mit dem Meister – und die beiden wurden deshalb nur Vierte, mit fast dreieinhalb Minuten Verspätung aufs Siegerpaar. Vielleicht ist aber auch Armstrong mittlerweile ein bisschen müde von all der Radlerei, schließlich war es nach der Tour schon wieder sein drittes Rennen – und überall will man ja längst mehr von ihm als nur Siege. „Die Tour“, folgerte Armstrong daraus, „mag anstrengend sein, aber die Woche danach ist noch viel anstrengender.“ Aber auch das wird er noch mindestens einmal überstehen.