Das kleine Malheur der roten Teufel

Die Helden der Fußball-WM 2002 aus Japan und Südkorea sind auf den Boden der Realität zurückgekehrt und müssen um die WM-Teilnahme 2006 bangen. Japan steht im Gegensatz zu Korea immerhin im Halbfinale beim Asien-Cup

Die sportliche Ekstase, den nationalen Rausch gibt es nur noch auf Video

JINAN taz ■ Für Arie Haan, den Trainer der chinesischen Nationalmannschaft, entwickelte sich der kurze Trip ins 400 Kilometer von Peking entfernte Jinan zu einem erbaulichen Fußballabend. Der holländische Weltmann mit erstem Wohnsitz Stuttgart war beim 4:3 zwischen Iran und Süd- korea nicht nur mit sieben Toren, sondern auch auf angemessenem Niveau unterhalten worden. Am Ende bekam er obendrein seinen Wunschgegner fürs Halbfinale des Asien-Cups. Der durfte unter keinen Umständen aus Seoul kommen. Gegen die roten Teufel aus dem Land der Morgenröte haben die Chinesen nämlich noch nie gewonnen.

Von den geheimnisvollen Kräften, die vor gut zwei Jahren die koreanischen WM-Gastgeber ins Spiel um den dritten Platz getragen hatten, ist allerdings nicht mehr viel zu sehen. Sie rennen nicht mehr wie aufgezogen. Die sportliche Ekstase, den nationalen Rausch, all jene Elemente, welche die Epoche unter dem niederländischen Wunderdoktor Guus Hiddink zum schönsten Märchen der Fußballgeschichte werden ließen, gibt es nur noch auf Video bzw. in Büchern. Spätestens am 31. März 2004 war Korea erwacht aus der Illusion, man zähle zu den Weltmächten im populärsten Sport. Ein 0:0 in der Arena von Male, dem Nationalstadion der Malediven, brachte die Demission von Trainer Humberto Coelho mit sich. Noch schlimmer, dass das Malheur gegen eine der schwächsten Nationalmannschaften auf der Erde den koreanischen Volkshelden ausgerechnet im Rahmen der WM-Qualifikation passiert war.

Deshalb konnte Jo Bonfrere, der neue Mann, nun sein Team und seine Arbeit loben im Stadion von Jinan. Trotz des Ausscheidens beim Asien-Cup. „Meine Mannschaft hat sich stark verbessert. Wir schießen jetzt wenigstens wieder Tore, und das ist das Allerwichtigste“. Drei Tore hätten ja eigentlich reichen müssen zum Weiterkommen, „aber weil wir immer den Gegentoren der Iraner hinterherlaufen mussten, haben wir unseren Rhythmus nie gefunden“. Bonfreres Publikum ließ sich lange einlullen von den Erklärungen des Mannes, der 1996 mit Nigeria die Goldmedaille beim olympischen Turnier in Atlanta gewonnen hat und über Routine im Besänftigen von Medien und Verbandsfunktionären verfügt.

Zum Schluss aber kamen dann doch die Fragen, wie er den WM-Vierten nach Deutschland bringen wolle. Und obwohl er eine Perspektivdebatte ablehnte, weil er nach dieser ersten Bestandsaufnahme in China und dem Auftritt des Olympia-Teams in Athen erst Ende des Monats zu einer klaren Analyse fähig sei, weiß Bonfrere genau, wann für ihn, erst recht aber für das Fußball-Land Korea die Stunden der Erkenntnis schlagen wird: Am 8. September in Ho-Chi-Minh-Stadt und am 13. Oktober in Beirut. Südkorea muss unbedingt beide Spiele in der Vorrundengruppe 7 gegen Vietnam und das starke Team vom Libanon gewinnen; schon ein Unentschieden würde das erfolgreichste Fußball-Land Asiens ausschließen vom finalen Qualifikationsturnier, wo die vier WM-Tickets für den Kontinent verteilt werden.

Jener 13. Oktober steht auch im Kalender von Japans Coach Zico, und dahinter der Ort Ruwi. Ein Besuch in der Hauptstadt des Sultanats Oman gilt gegenwärtig als allerhöchstes Risiko, sofern es sich um Fußball handelt. Asienmeister Japan schrammte bei den letzten zwei Begegnungen mit Oman nur knapp an der sportlichen Katastrophe vorbei. Im WM-Qualifikationsspiel konnten sich Zicos Leute in der Arena von Saitama mit einem Treffer in der Nachspielzeit zum 1:0 retten. Und vor zehn Tagen beim Asien-Cup vergaben die Schützlinge von Trainer Macala, jenem Tschechen, der für den sportlichen Aufschwung des Drei-Millionen-Landes Oman verantwortlich zeichnet, allein in den letzten zehn Minuten ihres ebenfalls mit 0:1 verlorenen Gruppenspiels gegen Japan drei riesige Chancen.

Das Thema vom Angstgegner Oman ist Zico erspart geblieben. Der berühmte Brasilianer, der in allen Publikationen Asiens stets als Legende angesprochen wird, musste auch kein Statement abgeben zum Leistungsstandard seines Teams, welcher im Vergleich zur Weltmeisterschaft um eine ganze Klasse gefallen ist. Ohne die verletzten oder in Europa stationierten Profis Nakata, Inamoto, Ono und Takahara fehlt es der J-League-Auswahl an Tempo und einer klaren Konzeption. Gegen Turnier-Neuling Jordanien duselte sich der Titelverteidiger regelrecht ins Halbfinale am Dienstag gegen Bahrain – und benötigte dafür das kurioseste Elfmeterschießen, seit Fußballspiele auf diese Weise entschieden werden.

Nachdem mit Nakamura und Alex ausgerechnet die Stars von Team Nippon die Kugel hoch übers Tor segeln ließen, intervenierte Kapitän Myamoto beim Schiedsrichter. Der Unparteiische könne sich doch gewiss noch an den Fehlschuss von David Beckham bei der EM erinnern, und auch daran, dass die berechtigen Hinweise der Engländer auf den miserablen Untergrund leider zu spät gekommen seien. Myamotos Argumente überzeugten den Referee; die Elfmeter-Bühne wurde in den anderen Strafraum verlegt.

Das war offenbar zu viel für die Nerven der internationalen Novizen aus Jordanien. Als Keeper Shafi dann auch noch anfing durch den Sechzehner zu tanzen und sich selbst feierte, weil er beim sechsten Versuch zum ersten Mal einen schwach getretenen Ball pariert hatte, da war schon klar, dass am Ende die Erfahrung siegen würde. Japan hatte gleich zwei Elfmeter-Heroen: Torwart Kawabuchi, der zwei Bälle an die Latte lenkte. Und Myamoto, der in das Tor traf, das er selbst vorgeschlagen hatte.

MARTIN HÄGELE