Stiefkind Guido

FDP-Chef Westerwelle und sein Bekenntnis zum Schwulsein bringen das konservative Spektrum der Union in Wallung: Die Herren fürchten um ihre Rollback-Pläne. Dabei muss die Union ihm danken

VON JAN FEDDERSEN

Es schien doch für einen Mann wie Norbert Geis alles so hübsch geordnet: Rot-Grün exekutiert (Grün mehr als Rot) seit 1998 in der Bürgerrechtspolitik für Homosexuelle das, was in aufgeklärt-rechtsstaatlichen Gesellschaften Common Sense werden konnte: Schwule und Lesben sollen die gleichen Rechte in Anspruch nehmen können wie Menschen, die sich ihre (Liebes-) Leben auf solche des anderen Geschlechts einrichten.

Heraus kam das Lebenspartnerschaftsgesetz, das – nach Klagen einiger unionsgeführter Bundesländer – im Sommer 2002 selbst in Karlsruhe höchstrichterlich sanktioniert wurde. Ein herber Schlag für manche konservativen Gemüter. Das Verfassungsgericht erkannte in dem rot-grünen Reformprojekt nicht nur keine Kollision mit Artikel 6 Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie), sondern räumte dem Gesetzgeber (welcher Couleur auch immer) ein, die Partnerschaften Homosexueller jenen der Heterosexuellen vollkommen anzugleichen, wenn er es wolle. Aber: Das Lebenspartnerschaftsgesetz blieb bis heute ein Torso, die Pflichten für zwei PartnerInnen werden nicht durch Rechte aufgewogen – denn sie betreffen das Steuerrecht. Und Gelddinge sind überwiegend in der Länderkammer zustimmungspflichtig.

Geis, der in den reaktionären Fünfzigern seine politisch-sittliche Prägung erfuhr, zählte darauf, dass 2006 die lebenspartnerschaftlichen Dinge wenn schon nicht wieder abgeschafft, dann doch wenigstens auf ewig als Rudiment belassen werden. Das werde schon deshalb gut gehen, weil die FDP im koalitionären Boot sein werde – und die sei doch recht eigentlich auch gegen geschmacklose Dinge wie Homoheirat. Und die Ordokonservativen durften auch deshalb so kalkulieren, weil doch die Liberalen unter Kohl nie das Maul aufgemacht haben.

Seit einer Woche ist dies anders, denn spät, aber doch hat Guido Westerwelle sich öffentlich glaubwürdiger gemacht, indem er erklärte, was ohnehin jeder vermutete: dass er in Liebesangelegenheiten Männer bevorzugt. Obendrein sagte der bis dahin stets überwiegend aknös-verklemmt wirkende FDP-Vorsitzende, die rot-grüne Novelle zum Lebenspartnerschaftsgesetz sei völlig in Ordnung – und zwar inklusive der Stiefkindadoption, welche von Rot-Grün anvisiert wird im Sinne des Kindeswohls: auf dass es Kindern in schwulen oder lesbischen Beziehungen sicherer gehe.

Und ebendies hat die ordokonservativen, besser: missio-katholoiden Pläne zunichte gemacht, den Reformprozess zu stoppen: Denn eine Kanzler-Merkel-Union wird niemals allein regieren können – dies wird nur mit der FDP was. Und Westerwelle – ein (selbst geouteter) Mann, ein Wort – wird verhindern, was Geis vorschwebt: Deutschland in Geschlechtsdingen als Renaissancefeld vatikanischer Haltungen.

Merkel und die ihren sind natürlich schlauer als Geis: Katholoid durchwirkt lässt sich in Deutschland keine Mehrheit organisieren. Man braucht die liberalen Stimmen, wählen sie nun Union (weil die Wirtschaft besser könnte) oder die FDP (weil die altbürgerlicher wirkt als die Grünen). Und für das Merkel-Projekt Wahlsieg 2006 braucht sie also einen offen schwulen Westerwelle: einen Imageträger mit dem Selbstbewusstsein von Modernität und Weltläufigkeit.

Die Stimmen der Traditionskonservativen sind ihr ohnehin sicher – Westerwelle aber macht Majorität, vielleicht gar Hegemonie. Aber: Merkel kann ihren Kurs nicht durchziehen, wenn nicht zugleich die Erwin Teufels ihr Unbehagen artikulieren. Insofern ist es vorschnell, wenn Kommentatoren vom Stern oder BamS ein Rollback befürchten – und zugleich eine schwarzgelbe Moderne ausrufen: Die ist noch weit. Die Union ist da zerrissener, als es scheint.

Es braucht noch lange, ehe Mentalitäten wie jene Geis’ sich nur noch sonderbar bis skurril ausnehmen: Die Union muss Westerwelle dankbar sein, dass er ihre Milieus in Streit bringt. Im Übrigen hilft das allen. Homoentdiskriminierung als exklusiv rot-grünes Projekt – das trüge ein Stigma, das vor allem einer Gruppe schadete: den Homosexuellen selbst.