Vereint gegen die Herrschenden

„Cyborgs against the Empire“: Das internationale Laokoon-Festival auf der Hamburger Kampnagel-Bühne präsentiert Randgruppen-Perspektiven

von MARGA WOLFF

Die Welt verändert sich und hinterlässt in der Kunst ihre Spuren. Als hochsensible Seismographen fungieren da die Performing Arts, der Tanz und das Theater. Vom heutigen Donnerstag bis zum 14. September begibt sich das Laokoon Sommerfestival auf der Hamburger Experimentierbühne Kampnagel erneut auf die Suche nach den Antworten, die das Theater auf die Realität zu geben vermag.

„Cyborgs against the Empire“ lautet diesmal das Motto, unter dem Festivalleiter Hidenaga Otori vorzugsweise die ungehörten Stimmen abseits des Mainstream und der europäischen Kulturzentren zu Wort kommen lässt. Konkret sind es hier oft Ensembles aus der so genannten Dritten Welt – aus Indien, Indonesien, Singapur, dem Iran und dem Libanon –, die sich vor dem Hintergrund der Globalisierung bis heute mit dem Erbe des Kolonialismus auseinandersetzen müssen. Eine andere Saite lassen gesellschaftliche Minderheiten, wie das Back to Back Theatre aus Australien erklingen, das mit seinen vom Down-Syndrom betroffenen Schauspielern in dem Stück Soft Fragen nach der Verletzlichkeit des Lebens stellt.

Das Cyborg-Modell – das Unterlaufen von Kolonisationsprozessen durch Anpassung – als Überlebensstrategie: Für den Japaner Otori, der sich hier an das „Cyborg Manifest“ der amerikanischen Feministin Donna Haraway anlehnt, offenbart sich darin ein Weg der subversiven Erneuerung von innen heraus. „Das Theater muss eine neue Sprache finden, und die Theaterkritik muss neue Perspektiven entwickeln“, sagte der Kosmopolit und Theaterkritiker, bevor er vor einem Jahr zum ersten Mal von Kampnagel-Intendantin Gordana Vnuk mit der Kuratierung des Festivals beauftragt wurde.

Der 55-jährige Otori ist in jedem Fall mehr ein Denker als ein Macher. Aber keine Angst – 2002 hat er bereits bewiesen, dass sein konzeptionell angelegter Ansatz gute Unterhaltung nicht ausschließt. Übergreifendes Thema ist – wie erwähnt – die Globalisierung auf verschiedensten Ebenen. Stand das vorjährige Laokoon-Festival unter dem Motto „Geschichte und Gedächnis im Zeitalter der Globalisierung“, richtet sich der Blick diesmal, trotz Krieg und Terrorangst, nach vorn. Als Reaktion auf den 11. September hat etwa Angela Liong, die Leiterin der Arts Fission Company aus Singapur, das Tanzrequiem Shadowhouses choreographiert, mit dessen Europapremiere das Festival eröffnet wird. Die Suche nach Sicherheit und Vertrauen thematisiert das Ensemble hier zu Musik von Arvo Pärt. Bedürfnisse, denen auch der amerikanische Choreograph John Jasperse in seinem Stück Giant Empty nachspürt. Eingangs balanciert darin eine Frau über eine Skyline aufgetürmter Bauklötze, später wird sie diese niederwalzen. An Symbolik kaum zu überbieten, mag da der erste Eindruck sein. Nur dass die Choreographie Giant Empty bereits im Mai 2001 entstand und es somit umso mehr verblüfft, wie Jasperse, der zu den international derzeit interessantesten Choreographen zählt, die Stimmung von Leere und Neuorientierung hier vorweggenommen hat.

Weitere Höhepunkte versprechen das Körpertheater Payung Hitam mit seiner Kaspar- Inszenierung aus Indonesien und der libanesische Medienkünstler Walid Ra‘ad, der in einer Lecture Performance die offiziell ausgeblendete Seite des Bürgerkriegs in seinem Land zeigt. Der französische Regisseur Francois-Michel Pesenti wiederum setzt mit seinem experimentellen Théâtre du Point Aveugle auf die Präsenz seiner neun Schauspieler, spricht davon „die Monster lebendig zu halten“. Seine Antwort auf die zunehmende Machtkonzentration und Gleichschaltung? „Man muss gezielt graben. Solange es den Mainstream gibt, gibt es auch kleine Strudel. Wenn nur drei Leute zusammen etwas Neues erfinden, beginnt die Möglichkeit zu neuem Leben. Daran glaube ich.“

Laokoon Sommerfestival Kampnagel Hamburg 28.8.-14.9.2003 Karten: 040-27 09 49 49, www.kampnagel.de