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Wurst-Herby bleibt Single

Auf dem Brokser Heiratsmarkt feilschten früher Händler nicht nur um Vieh, sondern auch um die Aussteuer ihrer Kinder. Heute gibt‘s dort Hausrat statt Heirat

Alles beginnt mit einem Stückchen Zucker. „Kommen Sie, probieren Sie. Es wirkt ganz phänomenal“, fordert eine milde Stimme in einem kleinen Verkaufswagen für fernöstliche Heilmittel. Aus einer Phiole beträufelt der mit Kopfmikrophon futuristisch anmutende Wunderheiler ein Stück Würfelzucker, und schon liegt es einem auf der Zunge.

Die Wirkung: betörend. Wenn dann noch gilt: unverheiratet, sorgenfrei, neugierig, kann der Marsch über den jahrhundertealten „Brokser Heiratsmarkt“ in Bruchhausen-Vilsen im Landkreis Diepholz beginnen. Im Idealfall wacht man dann nach fünf Tagen verkatert, verwirrt und verheiratet auf.

Vom 22. bis zum 26. August währte in diesem Jahr die so genannte fünfte Jahreszeit im Nordosten Deutschlands. Knapp eine halbe Million Menschen zieht es von Hannover bis Bremerhaven, von Emden bis Hamburg auf den geschichtsträchtigen Jahrmarkt. Angeordnet als überdimensionales X reihen sich Karussells, Schaubuden, Marktstände, Ausstellungen, Bier- und Fressbuden aneinander.

Von einem „Fahrgeschäfte-Overkill“ à la Bremer Freimarkt oder Hamburger Dom ist der Brokser Heiratsmarkt allerdings weit entfernt. Das Besondere sind hier vielmehr die vielen Schausteller, Marktleute und Viehhändler. Denn eigentlich, so schrieb der Heimatforscher Heinrich Gade um die Jahrhundertwende, begann der Brokser Heiratsmarkt als Viehmarkt. Genauer gesagt: als Pferdemarkt.

Die Gründungsurkunde von 1695 besagt, dass, wenn die Untertanen ein paar Füllen (Fohlen) zu verkaufen wünschten, diese doch auf einem Kram-, Vieh- und Flachsmarkt namens Bruchhauser Bartholomäus-Markt zusammenzutreiben seien. Abgehalten wurde der Bartholomäus-Markt traditionell am 24. August zu Ehren des gleichnamigen Apostels. Daraus ist schließlich der Brokser Heiratsmarkt entstanden.

Bloß: Wie wird aus einem Pferdemarkt ein Heiratsmarkt? Die Bezeichnung „Heiratsmarkt“ wurde erst im vergangenen Jahrhundert eingeführt. Damals schacherten die Händler gerne nicht nur ums Vieh, sondern auch gleich um die Aussteuer ihrer heiratsfähigen Kinder. Geschachert wird auch heute noch. Aber Heiraten?

„Zehn Euro all das Obst, plus Korb, plus das Kilo Pflaumen und obendrauf noch das Pfund Weintrauben, total entkernt versteht sich“, bellt ein schmächtiges Männchen von der Plattform eines Früchtetransporters in sein Kopfmikrophon. Gleich neben Bananen-Fred stehen Wurst-Herby und Pfannenspecht, der Allzweckbratwerk-Verkäufer. Dazu gibt es einen Herrn, der vom „ein für alle Mal letzten Staubsaugerbeutel“ schwafelt und Fensterputztücher als „blau-gelbe Wunder“ verkauft. Zu guter Letzt bauen sich an einem Stand türmeweise Silikon-Backformen neben einem Wahrsager auf, der die „Schicksalslinien ihres Pos“ zu deuten vermag. Hier ist anscheinend alles möglich. Und alles, alles ist erhältlich für den Hausrat zur Heirat.

Doch wo geht es zur Heirat? Kein Problem. Nur ein paar Buden weiter prangt ein Schild über einer Theke: Spaßhochzeit. Spaßhochzeit? Nachdem der Besucher bei Pfannenspecht und Wurst-Herby den kompletten Haushalt zusammengekauft hat? Aber klar doch – war doch alles nur Spaß! Ernüchterung: Der Brokser Heiratsmarkt ist nur ein Brokser Hausratsmarkt. „Heiraten nur zehn Euro! Plus Foto, plus Urkunde. Und obendrauf noch ein Schluck Sekt. Nur keine Angst. Nach Marktende endet ihre Vermählung automatisch“.

Hannes Krug

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