Herbert Hoffmanns Fotos von tätowierten „BilderbuchMenschen“ in der Grauwert Galerie
: Subversive Weltsicht

Herbert Hoffmann ist ein Fotoamateur im besten Sinn, einer der jahrzehntelang nichts anderes gemacht hat, als aus Lust zu fotografieren. Mit seiner zweiäugigen Rolleiflex hat er jene vor die Linse gerückt, die ihm nahe standen – fast 400 Tätowierte, geboren zwischen 1878 und 1952.

Seit einiger Zeit schon gilt der heute 82-Jährige als lebende Legende in der Tattoo-Szene, vor einem Jahr erschien ein opulenter Fotobildband – und jetzt reist Hoffmann mit der Bahn zu Tattoo-Conventions und Lesungen, immer einen kleinen Rucksack geschultert. Die Fotografien dienten ihm früher zum Tausch mit anderen Tätowierfreunden – und als Geschenk für die Porträtierten selbst.

Schon als Kind hat der 1919 in Stettin (Szczecin) geborene Hoffmann die Arbeiter mit den blau schimmernden Tätowierungen verehrt. Die tätowierten Feldarbeiter und Knechte, Straßenfeger und Müllkutscher, Scherenschleifer und Schrotthändler blieben seine Vorbilder – lebenslang. Einfache, oft selbst gestochene Tätowierungen waren üblich in der Arbeiterschaft, wie Hoffmann erzählt: „Bald gehörten nach meiner Vorstellung Arbeitsleute und Tätowierungen zueinander. Ihre blauen Bilder auf ihren Armen und Händen fesselten mich.“

Die Hamburger Galerie Grauwert zeigt jetzt unter dem Titel BilderbuchMenschen erstmals 60 Fotografien Hoffmanns – Bilder, die der Tattooliebhaber zur Erinnerung an seine Leidenschaft angefertigt hat. Seit Anfang der fünfziger Jahre, nach Russlandfeldzug und Kriegsgefangenschaft, entstand seine Ahnengalerie der Tätowierten. Hoffmann ließ sich im fränkischen Hof von einem Straßenkehrer Kreuz, Herz und Anker auf den Unterarm stechen und begann bald selbst als Tätowierer zu arbeiten, zuerst mit einfachen Handnadeln und Tuscheglas, seit 1961 in seinem eigenen Studio in St. Pauli. Vor allem aber begann Hoffmann, die Tätowierkunst der Vergangenheit zu dokumentieren. Er machte sich auf die Suche nach Tätowierungen, die er schon als Kind gesehen hatte – nach Motiven, die bereits um die Jahrhundertwende gestochen wurden.

Hoffmanns fotografischer Sinn für Kompositionen und seine Liebe zum Detail sind bestechend, doch vor allem die Nähe zu seinen Modellen fasziniert. Die Biographien vieler seiner Modelle ähneln sich übrigens: Im Krieg ausgebombt, leben die alten Arbeiter oder Seeleute jetzt in Gartenlauben, Baracken, Kellerwohnungen oder im Obdachlosenasyl – ein subversiver Blick auf eine fast verdrängte Kulturgeschichte: Das Wirtschaftswunder ist an Hoffmanns Freunden spurlos vorübergegangen.

In kurzen Begleittexten erinnert sich Hoffmann an seine Modelle, die er auf der Straße anspricht oder in seinem Studio fotografiert, wie etwa den 1908 geborenen Werftarbeiter Karl Oergel, der sich das Gesicht vor dem Spiegel selbst tätowiert hat. Oder den Berliner Peiker Albert, der kurz nach der Machtübernahme von der Gestapo verhaftet und in ein Konzentrationslager deportiert wurde. Oder Alex Wieczorek, geboren 1894 in Halle, über den Hoffmann berichtet: „Es gab wohl nur wenige Zuchthäuser in Deutschland, die er nicht von innen kannte. Auf dem Bauch hatte er zwei in Ketten gelegte Hände eintätowiert. Darüber stand zu lesen ,Die Schwarze Hand‘. Alex‘ Lieblingsspruch hieß ‚auf Ganovenehre‘. Ich tätowierte ihm einen großen Tiger auf den Rücken und er versprach ‚auf Ganovenehre‘ bald dafür zu bezahlen. Das war nicht viel wert, denn mein Geld habe ich nie bekommen.“ Vielen Modellen begegnete Hoffmann auf dem Hamburger Fischmarkt, wie etwa dem 1900 in Eckernförde geborenen Schiffszimmermann Otto Staack. Arbeiter sind die Kundschaft von Hoffmann und seine Klassensympathie ist augenfällig. Die feinen Pinkel ließen sich nicht tätowieren. Nur von dem Schuhfabrikanten Dr. Dold berichtet Hoffmann: „Im teuren Maßanzug mit Aktentasche betrat er meinen Laden, schaute sich vorsichtig um und stellte sich als Schuhfabrikant aus Pirmasens vor. Er wünschte sich Tätowierungen an Stellen, die im öffentlichen Leben leicht zu verdecken sind. Mit angemessener Zurückhaltung erfüllte ich sein Begehren in langen, schwierigen Sitzungen.“

Ein wunderbares Porträt hat Hoffmann auch von Oskar und Emma Manischweski geschaffen, einem Schaustellerpaar, das sich kurz nach der Jahrhundertwende hatte tätowieren lassen. Bis in die dreißiger Jahre hinein waren die beiden als Feuerspucker und Schwertschlucker aufgetreten. „An Ostern 1958 besuchten wir den Blauen Oskar und seine Frau Emma. Unsere frisch erworbenen Hautbilder aus Hamburg, Kopenhagen und Rotterdam beeindruckten sie sehr. Oskar wünschte sich sogleich auch welche. Es war nicht leicht, noch leere Stellen auf seinem blautätowierten Körper zu finden. Er nahm mich zur Seite und sagte sehr ernst: ‚Herbert, Du musst Dir unbedingt die Hände tätowieren lassen. Wer soviel Freude an Tätowierungen hat wie Du, der sollte das auch mitteilen, indem er sie sichtbar macht.‘“ MARC PESCHKE

Mo–Fr 9–18 Uhr, Grauwert Galerie, Telemannstraße 27; bis 15.10.