Kita-Etat im Sinkflug

SPD warnt vor größtem Kita-Abbau aller Zeiten: 6.300 Plätze schon in 2004 und später noch mehr. Bildungssenator Lange spricht von Panikmache: Kita-Gutscheinsystem schaffe mehr Plätze mit weniger Geld. Neue Gutscheine frühestens im Oktober

von KAIJA KUTTER

Hamburgs Eltern müssen sich auf einen drastischen Abbau von Kita-Plätzen einstellen. Nach Einschätzung des SPD-Politikers Thomas Böwer fallen bereits im nächsten Jahr 6.300 Plätze weg, weitere würden bis 2007 folgen. Vertreter der Regierungskoalition sprachen gestern von „Panikmache“, konnten die Befürchtungen der Opposition aber nicht entkräften.

Böwer spricht von dem „größten Sparprogramm in der Kinderbetreuung, das Hamburg je gesehen hat“ und nennt dafür vier Gründe: Zunächst hat Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) die Pflegesätze für Kita-Plätze deutlich erhöht, um die Zustimmung der Träger zum Kita-Gutscheinsystem zu erlangen. Beispielsweise wurde die Pauschale für Halbtagsplätze um 31 Prozent erhöht. Eine Gegenfinanzierung gibt es jedoch nicht. Die Kosten verursachen nach Böwers Berechnung einen Wegfall von 5.900 Kita-Plätzen.

Des Weiteren wurde für die Absenkung der Elternbeiträge um durchschnittlich 10 Prozent kein Geld im Haushalt eingestellt. Die Mindereinnahmen von 3,6 Millionen Euro entsprechen noch einmal 440 Kita-Plätzen. Hinzu kommt, dass der Senat in diesem Jahr 19 Millionen Euro für Mehrausgaben bewilligte, die laut Böwer zwar im nächsten Jahr wieder anfallen, aber nicht finanziert sind. Die gegenwärtig rund 50.000 Kita-Plätze, die laut Behörde besetzt sind, wurden also mit 311 Millionen Euro finanziert. Für 2004 stehen aber nur 298 Millionen Euro zur Verfügung.

Wie die taz gestern berichtete, plant der Senat zudem in seiner mittelfristigen Finanzplanung eine schrittweise Absenkung des Kita-Etats auf 278 Millionen Euro im Jahr 2007. Begründet wird die mit Effizienzgewinnen und rückläufigen Geburten.

Langes Sprecher Alexander Luckow räumte die geplante Kürzung bis 2007 ein. Langes selbst sprach gestern von „Horror-Zahlen“ und „dreister Kita-Hysterie“, mit der die Opposition „Unruhe und Angst“ bei den Erziehungsberechtigten schüre. Lange: „Die Faktenlage ist eindeutig: Hamburg wird seinen jetzt erreichten Versorgungsgrad an Kindertagesbetreuung in den nächsten Jahren noch erhöhen.“ Zurzeit befänden sich nur noch rund 2.600 Eltern der Priorität 5 (berufstätig) auf der Warteliste, deren Abarbeitung im Oktober beginnen werde.

Lange betonte zudem, dass der hohe Versorgungsgrad „mindestens sichergestellt“ sei, weil die Flexibilität des neuen Kita-Gutscheinsystems die Effizienz erhöhe und dafür sorge, dass Hamburg mit dem gleichen Geld mehr Plätze schaffen könne. Fragt sich nur: Welche Plätze? Gutschein-Kritiker bemängeln, dass insbesondere in sozialen Brennpunkten die Kinder nur noch die gesetzlich vorgeschriebene Mindestbetreuung von vier Stunden bekommen.

SPD-Politiker Böwer beharrt denn auch auf seiner Prognose: „Wenn meine Fakten falsch sind, soll der Senator die richtigen nennen oder seinen Finanzbericht korrigieren.“ Angenommen, die Geburten gingen tatsächlich rapide zurück – was bereits in den 90ern immer wieder als Grund für Kita-Abbau angeführt wurde, aber nicht eintraf – könnte der alte „Versorgungsgrad“ gehalten werden. Doch ein Blick in den Haushalt 2004 offenbart, dass dies nicht einmal geplant ist. So soll der Versorgungsgrad an Hortplätzen für Schulkinder von 20,2 auf 18,9 Prozent, der für Krippenkinder bis drei Jahre von 19 auf 18,9 und für Elementarkinder (drei bis sechs Jahre) von 97,3 auf 96,2 Prozent gesenkt werden.

Nach Informationen der GAL steht selbst die stadtweit plakatierte Behauptung, gegenwärtig würden mit 50.000 Kindern mehr denn je versorgt, auf wackligen Beinen. „Bildungssenator Lange hat bis heute keine aktuelle Zahl auf den Tisch gelegt, wie viele Gutscheine für welche Plätze ausgegeben wurden und wie viele Kinder tatsächlich heute betreut werden“, kritisiert die GAL-Politikerin Sabine Steffen. Die Antwort auf eine GAL-Anfrage steht noch aus.

Eine Meldung aus St. Pauli macht deutlich, was „Effizienzgewinn“ in der Praxis bedeutet. So wurde einem einjährigen Kind nur für sechs Wochen ein Kita-Gutschein bewilligt. So lange dauert der Deutschkursus der Mutter. Pädagogischer Standard war bisher, allein für die Eingewöhnung so kleiner Kinder vier Wochen zu gewähren.