Das Wandern ist des Frosches Lust

Der NABU weiht in einem Naturschutzgebiet ein System ein, dass Amphibien sicher unter der Straße durchleitet. Es kostet eine halbe Million Euro und wartet mit Raffinessen auf

Die Teerdecke der Schönerlinder Chaussee im Naturschutzgebiet nördlich von Pankow ist wellig, gezeichnet von tausenden Autos der Pendler, die täglich die Verbindung zur Ringautobahn nutzen. Ähnlich hoch wie auf der zweispurigen Strecke ist das Verkehraufkommen in der Laichzeit auch neben der Fahrbahn. Und fatalerweise ist bei den Amphibien der Gegend auch das Überqueren beliebt – als direkte Verbindung zum Bogensee. Stoßzeit ist im Frühjahr, wenn die Temperaturen über 5 Grad klettern. Den Startschuss gibt ein warmer Regen, dann geht das Rennen los. Ziel ist ein amphibischer Liebesakt im Teich.

Autoreifen zerquetschten die meisten der liebestollen Frösche und Waldeidechsen vorher auf der Straße. „Bei 60 Autos in der Stunde liegt die Todesrate der Amphibien bei fast 100 Prozent“, erklärt Artenschutzexperte Jens Scharon vom NABU Berlin. „Die Tiere bleiben auf der warmen Fahrbahn, die ihren Wanderkorridor zwischen Lebensraum und Laichgewässern durchschneidet, sogar noch sitzen.“ An der Chaussee weihte der NABU gestern ein neues Schutzsystem ein, das den Tieren sicher über die Straße helfen soll.

Denn was für Frösche tödlich ist, birgt auch für Autofahrer Gefahren. Da niemand gern ein Huckepackliebespaar ins Jensseits befördert, kam es nach einer scharfen Kurfe zu brenzligen Ausweichmanövern. Um das zu verhindern, wiederholte sich jahrelang ein Ritual: Zur Laichsaison wurden Amphibienzäune aufgestellt und in regelmäßigen Abständen Sammeleimer eingegraben. Diese trugen Helfer täglich über die Straße. Dabei gab es zahlreiche Probleme: Ratten, Füchse und Ameisen fraßen munter aus den Eimern, in denen Frösche in der Falle saßen. Bei Regen ertranken Spitzmäuse in den Plastikbehältern, bei Hitze trockneten dort die Amphibien aus. Schwere Lkws und Wind drückten oft die Fangzäune zur Seite. „Die Betreung der Anlagen überforderte die personellen Kapazitäten, sodass die – den ganzen Sommer dauernde – Phase der Rückwanderung der Jungtiere gar nicht begeleitet werden konnte“, sagt Amphibienexperte Scharon.

Abhilfe soll künftig ein Amphibien- und Kleintierschutzsystem schaffen, das weitgehend selbstständig arbeitet – eine „nahezu wartungsfreie Anlage“, so Scharon. Zu beiden Seiten der Schönerlinder Chaussee verhindert jetzt eine 50 Zentimeter hohe und 680 Meter lange Betonmauer das unbefugte Überqueren der Straße, eine überstehende Kante vereitelt jeden noch so kühnen Sprung. Der Beton ist mit einem Speziallack beschichtet, sodass Kalk nicht empfindliche Amphibienschleimhäute reizen kann. Die Mauern sind an beiden Enden wie Schnecken geformt, so genannte Umlenkrollen, diee die Tiere zurück leiten. Als unterirdische Durchlässe dienen 15 Tunnel, die eine bequeme Passage ermöglichen. Ein Erwachsener könnte leicht hindurchkriechen, in der Praxis sollen es Tiere wie Ringelnattern, Teichmolche, Moorfrösche, Igel und Laufkäfer, aber auch Füchse sein.

Auch an Störungen aus der Pflanzenwelt haben die NABU-Fachleute gedacht: Die Fugen zwischen den Betonblöcken sind penibel abgedichtet, damit sich keine Pflanze anklammern – respektive Kletterhilfe leisten – kann.

Die Zufahrten zur Chaussee sind mit Querrosten gesichert, durch die die Tiere in einen Schacht fallen, wo sie dem System zugeleitet werden. Kostenpunkt insgesamt: eine halbe Million Euro, finanziert durch das Berliner Umweltentlastungsprogramm (UEP). Der Bau war teuer, weil er in eine existierende Straße integriert wurde. Laut Scharon ist das Projekt ein Schritt, „der Verinselung der Natur entgegenzuwirken“.

CHRISTIN GRÜNFELD