Stützeempfänger zum Massen-TÜV

Insgesamt 36.000 Sozialhilfeempfänger sollen ab Oktober zum Profiling. In zweitägigen Seminaren will die Sozialverwaltung herausfinden lassen, was die Empfänger können und brauchen. Grüne vermuten: Es geht nur um Reduzierung der Sozialkosten

von RICHARD ROTHER

Der Senat plant ab Oktober ein Massenprofiling Berliner Sozialhilfeempfänger. Mit den zweitägigen Gruppenseminaren, bei denen die Sozialhilfeempfänger auf Herz und Nieren geprüft werden, soll eine „Sichtung des Bestands vorgenommen und Gewissheit über die tatsächliche Anzahl erlangt“ werden, heißt es in einem der taz vorliegenden Schreiben an Bildungs- und Beschäftigungsträger, die das Profiling durchführen sollen. Die Arbeitsgemeinschaft Service-Gesellschaften hat bereits am Montag ein Treffen mit etwa 50 Vertretern der Träger durchgeführt, bei dem der organisatorische Ablauf des Profiling vorgestellt wurde. Die Bezirke, in deren Obhut die Sozialämter liegen, müssen dem Vorhaben allerdings noch zustimmen.

In einer ersten Phase ab 6. Oktober könnten rund 16.000 Sozialhilfeempfänger überprüft werden, wie ein Teilnehmer der Veranstaltung bestätigte. Dies solle bis Ende November abgeschlossen sein. In einer zweiten Phase, über die noch nicht konkret gesprochen wurde, sollen im ersten Quartal 2004 weitere 20.000 Empfänger erfasst werden. Sie sollen von den Sozialämtern ausgewählt werden.

Das Profiling soll aus einer Art zweitägigem Gruppenseminar bestehen, zu dem jeweils etwa 25 Stützeempfänger geladen werden. Erwartet wird, dass etwa 20 kommen, die dann von zwei Profilern betreut werden. In Gruppen- und Einzelgesprächen will man herausfinden, wer arbeitsfähig ist oder wer besondere Hilfemaßnahmen – etwa eine Sucht- oder Schuldenberatung – benötigt, hieß es. „Das macht auch Sinn.“ Die Kriterien für die Auswertung der so genannten Profilingbögen orientierten sich an denen des Arbeitsamts, das sich so bereits ein möglichst genaues Bild vom Werde- und Ausbildungsgang, aber auch von der Persönlichkeit der Betroffenen verschafft. Die Bögen für Arbeitslose waren in die Kritik geraten, weil etwa unter der Rubrik „gesundheitliches Leistungsvermögen“ oder „Auftreten/Erscheinungsbild“ zwischen „günstig“, „neutral“ oder „ungünstig“ beurteilt wird.

Von den insgesamt rund 270.000 Sozialhilfeempfängern in Berlin zählen nun 56.000 zur „Kernzielgruppe“ des jetzigen Massenprofilings. Das sind Erwerbsfähige unter 50 Jahren, die kein Arbeitslosengeld beziehen. Im Ergebnis solle „die Identifizierung von erwerbsfähigen und arbeitsmarktnahen Sozialhilfeempfänger(inne)n bei den Berliner Sozialämtern möglich sein, denen eine größere Chance als bisher eingeräumt werden soll, in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt oder in niedrigschwellige Angebote vermittelt zu werden“, heißt es in der Einladung an die Bildungsträger.

Die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz kritisiert das geplante Massenprofiling dennoch: „Ich werde den Verdacht nicht los, dass damit vor allem die Zahl der Sozialhilfeempfänger reduziert werden soll.“ Erfahrungen in anderen Kommunen hätten ergeben, dass 20 bis 30 Prozent der Betroffenen nicht kommen und somit ihren Anspruch auf Stütze verlören. Ein Profiling mache nur Sinn, wenn man den Betroffenen gleichzeitig Jobs, Qualifikationen oder Therapien anbieten könne. Dies sei bei diesen Massen aber nicht vorstellbar. „Ein flächendeckendes Profiling, mit dem nur die Sozialkosten reduziert werden sollen, wäre unverantwortlich.“

Die Sozialverwaltung weist diesen Vorwurf entschieden zurück. „Daran ist überhaupt nicht gedacht“, so Roswitha Steinbrenner, Sprecherin von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS). Allerdings könne man nicht die Hand dafür ins Feuer legen, was etwa der Bezirk Reinickendorf aus der Erhebung mache. Im Moment sei über das flächendeckende Profiling, das aus Mitteln der Sozialverwaltung finanziert werde, ohnehin noch nicht entschieden – die Bezirke müssten den Vorschlag der Sozialverwaltung erst beraten. Das Treffen mit den Bildungsträgern sei „informell“ gewesen. „Ein Profiling ist ausgesprochen sinnvoll“, so Steinbrenner. Beim Gros der Hilfeempfänger gebe es keine aktuellen Informationen über seine Defizite und Potenziale. Die seien nötig, wenn man sich ein Bild davon machen wolle, welche Hilfeangebote angebracht seien. „Darüber sind sich alle Arbeitsmarktpolitiker einig.“