Sex mit Mutti

Bei einer Extremistin aufzuwachsen und dennoch die Kurve zu kriegen ist nicht leicht

Metzgers Kinder sind oft Vegetarier, Zahnarztkinder leiden unter Mundfäule, und die Kinder der 68er wandern nach Bayern aus, um die CSU wählen zu können. Die nächste Generation wird sich immer auflehnen gegen die Ideale ihrer Eltern, und zu Recht. Nur die Betroffenen können sich vorstellen, was es heißt, in einem Extremisten-Haushalt aufgewachsen zu sein, in dem man jeden Morgen mit Mettbrötchen, Zahnpflege-Faschismus oder dem Brummen der Getreidemühle geweckt wurde. Ich kann verstehen, dass man da zu Gegenmaßnahmen greift. Meine Mutter arbeitet bei meinem Frauenarzt.

Mit fünf Jahren wurde ich zum ersten Mal aufgeklärt. Meine Mutter hatte ein pädagogisch wertvolles Büchlein erstanden, in dem „mit vielen lustigen Zeichnungen einfühlsam in die Welt der Sexualität eingeführt wurde“. Kann sein. Unglücklicherweise konnte ich noch nicht lesen und war so auf die Erläuterungen meiner Schwester angewiesen. Sie blätterte in dem Buch, fand schließlich die Zeichnung, in dem die Comic-Frau mit verliebtem Augenaufschlag unter dem Comic-Mann lag, und sagte lapidar: „So bist du entstanden.“ Skeptisch schaute ich mir das Bild an und meinte dann: „Du vielleicht, ich doch nicht!“

In dem Alter, in dem ich anfing, mich „für Jungs zu interessieren“, tat meine Mutter alles, damit dieses Interesse schnell abflaute. Sie hat einfach nie verstanden, dass Sexualität nicht sexy ist. Beim Frühstück wurde über Vor- und Nachteile verschiedener Verhütungsmethoden doziert, unvergessen blieb vor allem, wie meine Mutter mit einer Ravioli und einer Weinflasche das Einführen eines Diaphragmas demonstrierte.

Ich hegte lange Zeit den Wunsch, Nonne zu werden. Das bot sich schon deshalb an, weil sich alle meine männlichen Bekannten für ein Mönchsdasein entschieden, nachdem sie bei einem Besuch meines Elternhauses die Diashow der Geschlechtskrankheiten mit ansehen durften. Meine Entjungferung fand nicht ohne Grund 20.000 Kilometer weit von meinem Heimatort entfernt statt. Denn nur so hatte ich eine Sicherheit, dass meine Mutter nicht ins Zimmer spazieren und uns persönlich beim Anlegen des Gummis behilflich sein würde.

Bei allen guten Absichten, die meine Mutter mit ihrer Kampagne hegte, erreichte sie selbstverständlich das Gegenteil. Meine Schwester und ich wurden nie zu dem Typ Frau, die sich offen über etwaige Beschwerden im unteren Bereich äußern konnte oder sich gar auf einen Besuch bei ihrem Frauenarzt freute. Zwar hatten wir uns verbeten, dass unsere Mutter mit ins Sprechzimmer kommt, aber selbstverständlich las sie unsere Karteikarten und sah unsere Laborberichte. So kam es oft zu Verquickungen der persönlichen Art, die eine ärztliche Schweigepflicht ungefähr so sinnvoll machte wie einen Porno für Blinde. Meine Mutter fragte mich beispielsweise: „Ich dachte, mit Ralf sei Schluss?“ – „Ja, und?“ – „Wer schwimmt denn dann in deinem Abstrich rum?“ Meine Mutter kennt zwar jede ausgestorbene Pilzinfektion mit lateinischem Namen, aber Worte wie „Versöhnungssex“ oder „Sportfick“ finden sich nicht in ihrem Vokabular. Dennoch wurde ich keine Vegetarierin, sondern zog in eine größere Stadt, in der ich entdecken musste, dass ich nicht für alle Missgeschicke meines Lebens meine Eltern verantwortlich machen konnte. Aber das ist eine andere Geschichte.

KATINKA BUDDENKOTTE