la vie parisienne
: FRANK KETTERER über den kolossalen Kenteris

Gut gekniffen, Grieche

Zunächst war es nur ein Gerücht. Es waberte umher und keimte und wuchs, die hitzige Atmosphäre so eines Pressezentrums ist dafür ein prima Nährboden. Dann, gegen Ende des Tages, war das Gerücht ausgewachsen – und Wahrheit geworden. Die Wahrheit war als dürre Presseinformation Nr. 46 auf ein grünes Blatt Papier gedruckt und lautete so: Konstadinos Kenteris, Weltmeister über 200 m, hat seinen Startverzicht bei der WM in Paris bekannt gegeben. Nach Angaben des Teamarztes laboriert der Grieche, der gestern in die Vorläufe hätte starten sollen und am Freitag seinen Titel verteidigen wollte, an einer Oberschenkelverletzung. Schon bei seiner Ankunft in Paris am Samstag hatte der 30-Jährige geklagt: „Ich bin nicht in der Form meines Lebens.“ Da dürfte dem Sportlehrer von der Insel Lesbos die plötzliche Verletzung gerade recht gekommen sein.

Auf jeden Fall hinterlässt sie einen ziemlich üblen Nachgeschmack. Kenteris ist nämlich nicht nur Olympiasieger sowie Welt- und Europameister über die 200 m, sondern schon seit längerem einer der argwöhnischst betrachteten Sportler in der Welt der Leichtathletik. Genau genommen misstraut man dem 30-Jährigen, seit er aufgetaucht ist in der Weltspitze, was vor drei Jahren in Sydney der Fall war. Um sagenhafte 41 Hundertstelsekunden verbesserte er bei Olympia seine Bestzeit aus dem Vorjahr – und räumte damit zur Überraschung aller Gold ab. „Who the Hellas is Konstantinos Kenteris“, fragte sich damals nicht nur der Morning Herald aus Sydney verdutzt.

Die Frage kann auch drei Jahre und zwei weitere Titel nach dem Sensations-Coup nicht so richtig beantwortet werden. Freilich: Das eine oder andere private Detail über Kenteris ist schon bekannt geworden. Dass er spartanisch lebe, seine Heimat liebe, Single sei und gläubig obendrein – und dass mittlerweile sogar eine Schnellfähre nach ihm benannt ist. Sportlich aber weiß man selten, wie es um den verdächtig schnellen Griechen bestellt ist, schon gar nicht vor den Saisonhöhepunkten. Wie sollte man denn auch? Er taucht ja nie auf. Während andere Sprinter der Weltklasse durch die Welt jetten und zwischen 10 bis 15 Starts absolvieren, bleibt Kenteris brav zu Hause oder geht ins Trainingslager. Und wenn er startet, was seltenst vorkommt, dann nur im eigenen Land und bei eher unbedeutenden Wettkämpfen. Fast scheint es, der Grieche befinde sich auf der Flucht vor dem Wettkampf – und noch mehr vor den Dopingkontrolleuren dort.

Um das klar festzustellen: Kostas Kenteris wurde noch nie mit Unerlaubtem im muskelbepackten Körper angetroffen. Sein Trainer sagt: „Gedopt sind Sportler nur dann, wenn sie überführt werden.“ Aber das ist nur die halbe Wahrheit, und Christos Tsekos, der rein zufällig mit Nahrungsergänzungsmitteln handelt und eng mit Christos Iakovou, dem nicht minder erfolgreichen und verdächtigen Trainer der griechischen Gewichtheber zusammenarbeitet, dem wiederum gute Kontakte zur osteuropäischen Doping-Mafia nachgesagt werden, weiß das. Um überführt werden zu können, muss sich ein Sportler den Tests nämlich erst mal stellen. Und genau das ist bei Kenteris sowie bei einigen seiner griechischen Leichtathletik-Kollegen nicht der Fall: Selbst im Training ist der Adonis bisweilen nicht aufzufinden, so wie Anfang dieses Jahres. Da ist Kenteris zusammen mit seiner Teampartnerin Ekaterini Thanou einfach so nach Katar entschwunden, ohne den Dopingkontrolleuren dies mitzuteilen, wie es Athletenpflicht gewesen wäre. Der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) hat das Dilemma erkannt und offiziell gerügt, dass Hellas’ Athleten oft nicht auffindbar seien für Tests. Mit Strafen belegt hat die IAAF dies allerdings noch nicht.

So bleibt auch hier in Paris Argwohn, wenn einer als Titelverteidiger anreist und dann doch nicht startet. Vielleicht hat er die Verletzung ja nur vorgeschoben, um nicht starten zu müssen und somit auch nicht getestet werden zu können. Findige Betrüger tun das bisweilen, wenn sie schon vor dem Wettkampf feststellen, dass sie all die unerlaubten Mittel zu lange in sich hineingeschüttet haben und sie nun noch nachweisbar sind. Vielleicht hat auch Kenteris es so gemacht und sich einer Vorkontrolle entzogen, der Gedanke daran kann einem bei der Faktenlage jedenfalls kommen. Zunächst aber ist es natürlich nur ein Verdacht.